Samstag, 9. April 2011

Wie ein Roman entsteht: Terror und Widerstehen in Moabit

Der Ausstellungspalast des ULAP in Berlin-Moabit. Das Gebäude wurde 1943 durch einen alliierten Angriff zerstört. Quelle: Wikipedia

Bei meinen Recherchen für ein neues Buch stoße ich immer wieder auf erschütternde Geschichten.
So mancher Name, so manches Schicksal, das später in einem meiner Romane auftaucht, ist schon lange in Vergessenheit geraten. An dieser Stelle nun wieder einmal ein kleiner Gruß zurück durch die Zeit. Es sind Menschen darunter, vor deren Mut ich den Hut ziehe. Ich bin den hier Beschriebenen begegnet, als ich für einen Roman um den Berliner Kriminalkommissar Kappe recherchiert habe. Diese Reihe, die im Jaron Verlag erscheint, hat mit dem ersten Fall im Jahr 1910 begonnen und schreibt das Schicksal Kappes alle zwei Jahre mit einem neuen Fall fort. Für das Frühjahr 2012 sind Krimis mit Fällen aus den Jahren 1940, '42 und '44 vorgesehen. Die Autoren: Horst Boseztky (-ky) Jan Eik, die auch die Hauptschreiber dieser Serie sind, sowie meine Wenigkeit als Gastautorin. Ich schildere einen Fall im Jahr 1942.

Moabit war der Berliner Stadtteil, in dem 1941, davor und auch noch danach, der Nazi-Terror und die verschiedensten Bemühungen, zu widerstehen, geographisch fast Seite an Seite existierten. Manchmal sogar in direkter Nachbarschaft. Christen, Sozialisten und Kommunisten versuchten jeder auf seine Weise ihren alten Idealen treu zu bleiben. Sie machten einander gegenseitig manchmal aber auch das Leben schwer. Und nur einige Straßenzüge weiter zeigte die Terrorherrschaft des Hitlerstaates ihr hässlichstes Gesicht, wurden Menschen erniedrigt und gefoltert. Im Folgenden einige weniger bekannte Beispiele.

Der Mann, der als der „Henker von Berlin“ in die Geschichte eingehen sollte, kam aus der Moabiter Waldstraße: Wilhelm Friedrich „Willi“ Röttger, ein Pferdemetzger und Fuhrunternehmer. Er wirkte ab 1942 in den zentralen Hinrichtungsstätten in Berlin-Plötzensee und Zuchthaus Brandenburg-Görden, erhängte und köpfte mit seinen drei Gehilfen als freischaffender Henker von allen Scharfrichtern des Dritten Reichs mit großem Abstand die meisten Menschen, darunter zahlreiche Widerständler wie die führenden Köpfe der „Roten Kapelle“.

Röttger vollzog die Hinrichtungen in der Strafanstalt Plötzensee für ein Jahresfixum von 3000 Reichsmark plus Kopfprämie. In einem Aufsatz von Matthias Blazek heißt es dazu: „So hat er in der siebten Septembernacht des Jahres 1943, um die Zahl der zum Tode Verurteilten „weisungsgemäß schnell zu reduzieren“, insgesamt 5580 Mark verdient, für 186 Vollstreckungen“. Seine Gehilfen sollen unter anderen zwei Moabiter Brüder namens Thomas gewesen sein, der eine Schmied, der andere Wirt der „Sängerklause“.

In Moabit, im Westen des Bezirks Tiergarten, lagen Großbetriebe mit riesigen Werkhallen, hier lebten Tausende von Arbeitern. Die kleinen Leute mit ihren Sorgen und Nöten waren insbesondere im Beusselkiez zuhause. Der Terror hatte sich etwa vier Kilometer weiter, ganz in der Nähe des Lehrter Bahnhofes, des heutigen Hauptbahnhofes etabliert. Auf dem Gelände des ULAP, des Universums-Landesausstellungsparks, Adresse Alt-Moabit 4-10, Ecke Invalidenstraße, gab es ein großes Restaurant. Während dort die Gäste tafelten, wurden auf demselben Areal Menschen gefoltert: Intellektuelle, Juden, Funktionäre von SPD und KPD wurden hierher verschleppt. Viele starben. Die SA hatte diese geheime Folterstätte bereits im Februar 1933 eingerichtet. Doch ganz so geheim scheint sie 1941 längst nicht mehr gewesen zu sein. Ein Zeitzeuge, Dr. Werner Rosenstock berichtet: „Dort feierte der Sadismus seine Orgien, und man sah, wie die Gefangenen mit blutunterlaufenen Striemen auf dem Rücken aus den Folternkellern herausgebracht wurden.“

Zu den Menschen, die dort leiden mussten, zählte laut anderer Zeitzeugen Helmut Rosenow (1908-1967) aus der Wilsnacker Staße 43. Er war offenbar Nachrichtenleiter des inzwischen ebenfalls illegalen Reichsbanners und Zeitungsfahrer. Die Vereinigung „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ war 1924 in Magdeburg durch Republikaner, angeführt von der SPD, als überparteiliche Schutzorganisation gegründet worden. Rosenow hielt zu Zeiten des Nazi-Regimes die Verbindung zwischen Berliner Genossen und dem Exilvorstand in Prag aufrecht. Trotz mehrerer Verhaftungen und Misshandlungen im ULAP setzte er seine Untergrundarbeit fort, überbrachte geheime Nachrichten, schmuggelte Flugblätter nach Berlin und konnte Verfolgten bei der Flucht ins Ausland helfen. Nach dem Krieg wurde er wegen seines Einsatzes für die SPD von Ost-Berlin aus in die Sowjetunion verschleppt und für Jahre eingesperrt.

Nur wenige Häuser von den Folterkellern der SA entfernt, unter der Adresse Alt-Moabit 24/25 wirkte in der von Schinkel entworfenen Vorstadtkirche St. Johannis ein Mann im Kirchenkampf, der sich zur Bekennenden Kirche zählte: Pfarrer Hellmut Hitzigrath (1891-1950). Er gehörte zum Pfarrer Notbund und damit zu jenen Protestanten, die sich gegen die so genannten DC, die Deutschen Christen stemmten. Diese hatten schon vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler versucht, die Deutsche Evangelische Kirche für ihre politischen Zwecke einzuspannen. Zum Pfarrer Notbund, einer theologischen Arbeitsgemeinschaft, zählten Männer wie Hildebrandt, Niemöller, Müller, Praetorius, Röhricht und Jacobi. Der Moabiter Pfarrer Hitzigrath hielt durch bis zum Zusammenbruch des Nazi-Regimes und ging für seine Überzeugung auch ins Gefängnis. Er hat sich über seine eigene Gemeinde hinaus engagiert. Sein Sohn Rüdiger schilderte ihn später als einen bedächtigen Mann von eigentlich „deutschnationaler Gesinnung“.

Hitzigrath hielt während der ganze Zeit des Tausendjährigen Reiches an der strikten Abgrenzung zu den Deutschen Christen fest und hat sich auch an der Arbeit der illegalen Kirchlichen Hochschule beteiligt. Das Gemeindehaus in Alt-Moabit wurde immer wieder zum Asyl für Besucher von inhaftierten Glaubensgenossen der nahen Haftanstalt. Die Kirche St. Johannis und das Gemeindehaus wurden später bei verheerenden Luftangriffen zerstört, die vielköpfige Pfarrersfamilie verlor am 1. Februar 1945 dabei ein Mitglied, den zwölfjährigen Sohn Siegward.

An anderer Stelle, an der Gnadenkirche (Invalidenstraße 45/47), der Erlöserkirche (Wikingerufer/ Ecke Levetzowstraße) oder der Heilig-Geist-Kirche (Perleberger Straße 36) hatte sich der Kirchenkampf indessen sehr schleppend entwickelt und erlahmte bald. 1939 existierte an Heilig-Geist zwar eine „Notgemeinde“, aber nur 140 bis 150 der knapp 17 000 Gemeindemitglieder besaßen die „Rote Karte“ der Bekennenden Kirche. Sie wurden von dem illegalen Pastor Birk betreut. Zu den internen Bibelstunden erschien jedoch nur etwa die Hälfte.

Besonders schwer war es für die Bekennende Kirche an anderer Stelle in Moabit: Die Reformationskirche Wiclefstraße lag mitten im roten Beusselkiez. Hier lebten zahlreiche Facharbeiter, die traditionell die Wähler der SPD gewesen waren. Die SPD war bereits 1933 verboten worden, doch die Arbeit ging im Untergrund weiter. Die bekannten Funktionäre waren allerdings inzwischen dem Terror zum Opfer gefallen oder untergetaucht. So kamen für die illegale Arbeit hauptsächlich eher Unbekannte in Frage, die sich den Reihen der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) oder dem bereits vor dem Parteiverbot gegründeten „Roten Stoßtrupp“ angeschlossen hatten.

Die KPD, die auch in Moabit die Partei der Arbeitslosen gewesen war, hatte ihre Hochburg im Beusselkiez, in der Rostocker-, Wittstocker-, Berlichingenstraße. Konspirative Wohnungen und illegale Verstecke der KPD gab es im gesamten Stadtgebiet, ein solcher geheimer Treff befand sich bis Herbst 1933 auch in der Moabiter Calvinstraße 13, also bis die politische Polizei das illegale Büro der Landesleitung der KPD (um Herbert Wehner und Wilhelm Kox) aushob.

Und dann gab es in Moabit noch die so genannten Versöhnler, eine Untergruppe der KP, die bereits seit 1934 eine eigene Zeitung herausbrachte und zur Bildung oppositioneller Arbeitergruppen beitrug - unter anderem bei Siemens und Osram. Viele Mitglieder dieser Gruppen wanderten ins Gefängnis. Der frühere Reichsbannermann und Sozialdemokrat Johannes Skorsetz aus der Stephanstraße 33 zum Beispiel musste zweieinhalb Jahre Zuchthaus verbüßen. Ende Dezember 1942 wurde er zur Strafeinheit 999 eingezogen. Diese Einheit war im Oktober 1942 gegründet worden. In diesem Verband wurden die bisher vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossenen „bedingt Wehrunwürdigen“ und „Kriegstäter“ herangezogen.

Ein anderer Arbeiter, Paul Rikowski, war sogar von der eigenen Ehefrau angezeigt worden. Auch der Kranwagenführer Raimund Faller aus der Birkenstraße 8/9 stand mehrfach vor Gericht. Im August 1943 wurde er erneut verhaftet und vom Volksgerichtshof wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt. Er wurde im März 1944 in Brandenburg hingerichtet.

Quellen:
  • Die im Text genannten Schicksale werden in einer Dokumentation von Hans-Rainer Sandvoß geschildert. Sie trägt den Titel „Widerstand in Mitte und Tiergarten“ aus der Reihe „Berlin, Widerstand 1933-1945“.
  • Kiersch/Klaus/Kramer/Richardt-Kiersch: Berliner Alltag im Dritten Reich, Droste Verlag Düsseldorf 1981
  • Werner Girbig: Im Anflug auf die Reichshauptstadt, die Dokumentation der Bombenangriffe auf Berlin. Stuttgarter Motorbuch Verlag spezial, erste Auflage 2001.
  • Brigitte Oleschinski, Gedenkstätte Plötzensee, Hsg: Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin

Weiterführende Links:
http://www.reichsbanner.de/damals/chronik.asp

http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/spd/index.html
http://www.zeit.de/online/2006/33/KPD-Verbot
http://de.wikipedia.org/wiki/ULAP
http://blazek.hm-software.de/server/hmlims/app/prod/script/view_documents.php?fileprefix=scharfrichter2

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