Donnerstag, 14. April 2011
Reise ins 13. Jahrhundert, Folge 11: Irgendwo dazwischen
Das kommt davon, wenn man Recherchereisen für Romane erst Jahre später bloggt. Da hab ich doch in glatt eine Station auf meiner Suche nach Spuren zu Mathildes Geschichte verschwitzt. Aber in jedem gut unorganisierten Computer findet sich früher oder später alles wieder. So auch dieser Abschnitt meiner Reise ins 13. Iahrhundert über den Balkan und schließlich nach Israel (und zurück), der am 15. Mai 2004 entstanden ist. Die Geschichte der Köchin Mathilde und des Minnesängers Steinmar, die unversehens zu Königsmachern werden, hat noch einige Jahre gebraucht, um Form anzunehmen. Inzwischen liegt das Manuskript beim Lektorat des Emons Verlages. Geplanter Erscheinungstermin: Herbst 2011.
Übergänge
Die hübsche junge Hotelangestellte hat uns freundlich aber bestimmt wieder weggeschickt. Nein, es gibt noch kein Frühstück, es ist nicht sieben Uhr, sondern sechs. Sehnsuchtsvoll denke ich an eine weitere Stunde wunderbaren Schlafs. Klaus ist wie üblich schon seit Stunden wach. Und wir haben nicht bedacht, dass in Mazedonien die Uhren anders gehen als in Griechenland.
Von keinem Land ins andere habe ich den Übergang bisher als so abrupt empfunden. Die Grenze hat alles verändert, sogar mein Lebensgefühl. Am Morgen noch sind wir im Hotel in Griechenland bei strahlendem Sonnenschein aufgewacht. Das Leben schien leicht, das Atmen auch. Selbst wenig Schlaf konnte diesem Gefühl keinen Abbruch tun. Heute, in Skopje, ist das anders. In der Luft liegt eine Schwere, die sich wie Blei auf meinen Geist gesenkt hat. Ich möchte nur schlafen. Auch das Wetter ist anders in Makedonien, selbst der Sonnenschein wirkt weniger hell. Vielleicht weil kein Meer mehr da ist, um das Licht zu refelktieren. Aber immerhin scheint die Sonne heute ein wenig, nachdem wir gestern nach der Grenze immer weiter in stürmisches Grau gefahren sind.
Gestern. Gestern haben wir in Griechenland noch Sandiba und Georgius getroffen. Sie betreiben einen Imbisswagen, der auf einem staubigen Parkplatz an der Autobahn Richtung Thessaloniki steht. Eine Autobahn, die über so einige Kilometer eigentlich keine Autobahn ist. Das gilt übrigens auch für die restliche Strecke nach Skopie und weiter nach Bukarest. Gebühren müssen wir aber trotzdem bezahlen.
Sandiba sagt, sie heißt wie die Frau von Sokrates. Die hieß meines Wissens Xantippe. Aber Sandiba wirkt nicht wie eine Xantippe, sie ist eher zurückhaltend. Sie stammt aus Makedonien und kam nach Griechenland, um Arbeit zu finden. Nun ist sie mit einem Griechen verheiratet. Es dauerte zwei Jahre, bis sie die Aufenthaltserlaubnis bekam, erfahren wir. Sandiba warnt uns eindringlich auf Englisch davor, bei der Fahrt entlang der Grenze des Kosovo die große Durchgangsstraße zu verlassen. Das sei viel zu gefährlich. Im Kosovo werde es nie Frieden geben, fügt sie dann noch traurig auf Englisch hinzu.
Sandiba kann kein Deutsch, im Gegensatz zu ihrem Mann Georgius. Der spricht es fließend - und redet viel. Er sei Sicherheitsbeamter gewesen, habe als "junger Kerl" schon 10 000 Euro und mehr verdient, erzählt er. Dann ist irgend etwas "Politisches" geschehen, das Georgius aber nicht näher definieren will. Es sei eine lange Geschichte, sagt er nur, in diesem Fall außerordentlich zurückhaltend. Jedenfalls ging er zurück nach Griechenland, wurde mehrfach um Geld betrogen, die Rede ist von einer Million. Nun betreibt er mit seiner Frau diesen Imbissstand, genauer, er arbeitet in einem dazu umgebauten "schrottreifen" Lastwagen, den ihm Bekannte geliehen haben. Nach dem riesigen Souflaki-Sandwich für zwei Euro lädt er uns noch zu einem Glas Wasser ein. "Seid froh, dass Gott mich zu einem Menschen gemacht hat", erklärt er noch, bevor wir uns verabschieden. Ich glaube, er meint damit seine Gastfreundschaft.
Die Grenzbeamten am Übergang Richtung Serbien sind wie üblich mürrisch. Ich glaube langsam, es gibt so etwas wie ein besonderes Grenzbeamtengen, das muss eine Berufung sein, kein Beruf. Sonst würde es kein Mensch aushalten, den ganzen Tag über so mürrisch in ständig wechselnde Pässe und Gesichter zu schauen. Obwohl, nicht jeder Grenzbeamte schaut dem Reisenden auch ins Gesicht.Jedenfalls sind Grenzbeamte sehr wichtig und benehmen sich auch so. Vielleicht glauben manche, man muss mürrisch sein, wenn man wichtig ist. Ich muss mal einen fragen. Bei Gelegenheit. Übrigens: Makedonisches Geld wollen die Serben nicht. Die Dame hinter dem Schalter weigert sich, die Scheine zu wechseln. Sie will Euro.
In Mazedonien empfangen uns zunächst grüne, bewachsene Berge, blühender Ginster am Straßenrand. Der Wind frischt kräftig auf, es wird immer grauer. Trotz der bunten Wiesen mit den roten Mohnblumen, den weißen Kamilleblüten und den blauen Glockenblumen. Hin und wieder fallen einige Regentropfen. Als wir zu einem kurzen Halt aussteigen, merken wir, dass es hier mindestens um fünf Grad kälter ist als in Griechenland. Dort hatten wir am Morgen noch bis zu 23 Grad, vor Skopje sind es am Nachmittag gerade einmal 18. Wir kramen die Jacken hervor.
Als wir dann in Skopje einfahren, erscheint mir die Stadt ebenfalls grau. Ich meine jenes Grau, das viele "Westler" mit denen ich darüber gesprochen habe, auch in Moskau empfinden oder in Petersburg. Das Grau einer Vergangenheit im real exisitierenden Sozialismus. Vielleicht ist es unfair, aber dort, wo Serbien-Montenegro sich noch meistens in kyrillischen Buchstaben schreibt, empfinde ich das später ebenso. Außerdem können die Hotels in Skopje offenbar horrende Preise verlangen - 230 Dollar für ein Doppelzimmer. Aber ohne Meeresblick, nur mit Aussicht auf Hochhäuser Marke Plattenbau. Offenbar steigen Uno-Leute hier ab. Der Kosovo ist nicht weit. Für Gäste mit Sonderausweis gibt es übrigens 20 Prozent Rabatt. Wir finden den Hotelpreis auch dann noch zu hoch.
Am Abend hat sich dieses bedrückende Gefühl der Freudlosigkeit dann schon wieder etwas relativiert. Wir haben ein annehmbares Hotelzimmer gefunden und fürstlich gegessen. Ein Land, in dem so hervorragend gekocht wird, kann so freudlos doch eigentlich gar nicht sein, finde ich. Irgendwo ist Skopje bestimmt auch anders. In einem anderen Stadtteil ist vielleicht nur noch der Körper in der Vergangenheit und der Kopf schon in der Zukunft. Aber ich glaube, mit Städten ist es ebenso mit Menschen. Manche trauen sich nicht, die Vergangenheit loszulassen und der Übergang in die Zukunft dauert besonders lange.
Am Abend sind wir dann in Budapest. Es regnet. Und trotzdem empfinde ich diese Stadt als quirlig, aufregend, pulsierend. Es liegt irgend etwas Erwartungsvolles in der Luft. Gleichzeitig schwingen Charme und eine gewisse marode Dekadenz mit, die Erinnerung an die ungarisch-österreichische Donaumonarchie. Aber ich empfinde die Atmosphäre nicht als freudlos, für mich lächelt diese Stadt. So wie ein Mensch lächelt, der ein pralles Leben gelebt hat und sich an schöne Zeiten erinnert. Budapest hat ein Gesicht voller Falten, aber der Kopf ist schon in der Zukunft. Ungarn war schon vor über 20 Jahren anders. Damals, als ich zum ersten Mal in Budapest war. Irgendwie drückt sich das auch darin aus, wie sich die Menschen in den Straßen bewegen. Dabei ist Bundapest beileibe nicht nur schön. Die alten, prachtvollen Häuserfassaden verfallen teilweise, in den Eingängen der Passagen schlafen die Obdachlosen. Niemand schickt sie fort. Gleichzeitig dominieren riesige Einkaufszentren die Industriegebiete, Ikea, Plus, Baummärkte, Banken... In dieser Stadt an der Donau mit der großen Burg, der historischen Bausubstanz und dem weltweit berühmten Luxushotel Gellert wirken sie aber nicht wie Fremdkörper. Die Kaffeehausatmosphäre, die man gemeinhin mit der Donaumonarchie verbindet, der Schmäh, auch sie sind noch da. Ebenso wie viele österreichische Touristen.
Übrigens, manche Sachen sind fast auf dem ganzen Balkan gleich. Zum Beispiel der Salat aus gewürfelten Tomaten und Gurken. Es gibt ihn in der Türkei ebenso wie in Serbien. Dort heißt er dann halt Srbska Salat. Außerdem werde ich noch lange wehmütig an den türkischen und griechischen Joghurd denken. So gut wie dort hat er mir noch nirgendwo geschmeckt. Schon das alleine ist ein Grund, zurückzukehren.
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