Im Ballhaus Rixdorf ist der Teufel los. „Ha, Theateratmosphäre“, sagt mein Begleiter, der es wissen muss. Denn er hat lange am Theater gearbeitet. Er meint die Leute, die Schauspieler, Sänger, Musiker, Dichter, Komponisten der verschiedensten Jahrgänge, die sich im Saal eines Berliner Gründerzeithauses in einem Hinterhof am Kottbusser Damm versammelt haben. Sie gehören ganz offensichtlich zu der Spezies Mensch, die es genießt, zu sehen und gesehen zu werden. Manche scheinen selbst am Hinterkopf Augen zu haben, um festzustellen, ob jemand guckt, während sie sich vorne gestenreich mit jemandem unterhalten. Ein Herr mit weißem, zum dünnen Zopf zusammengefriemeltem Haar, und farblich passendem Anzug läuft immer wieder vor der Bühne auf und ab. Typ Impressario. Eine barocke Rothaarige in den besten Jahren haut einem jungen bärtigen Mann auf die Schulter. Der zuckt publikumswirksam zusammen. Einige Talentscouts scheinen auch da zu sein. Die schreib:maschine hat eingeladen. Zum vierten Mal. Und es geht laut Programm um sieben Mal 15 Minuten.
Die Veranstaltungen dieser „noch recht jungen Plattform für Autoren, Komponisten, Liedtexter, Choreographen, Übersetzer und alle, die neue Musicals auf die Bühne bringen wollen“ (Zitat von der Website), könnte man als einen Geheimtipp bezeichnen. Aber sicherlich nicht mehr lange. Das zeigt schon der Strom der Menschen, die in den Saal mit der Empore und der etwa 40 Quadratmeter großen Bühne drängen. Am Ende sitzen gut 300 im Zuschauerraum und genießen die Atmosphäre der Lokalität, die den Charme einer sehr in die Jahre gekommenen Diva ausstrahlt. Die Deko ist rudimentär, aber effektvoll. Auf der Bühne Kartons, Grundfarbe weiß. Bühnenbildner Michael Korn gruppiert sie vor jedem neuen Auftritt wieder um. Die weitere Grundausstattung der Bühne, soweit vom Zuschauerraum aus zu erkennen: zwei Mikros, ein altes Oberdämpferklavier mit schwarzem Schellacküberzug und – wenn vonnöten – Stuhl und Notenständer. Unten im Saal: Kaffeehaustische mit Windlichtern, letztere von Krepppapier ummantelt.
„Egal welcher Stil, welches Thema, ob klein oder groß“, heißt es auf der Website der Maschinenmacher, die da sind: Kevin Schroeder, Robin Kulisch und Friederike Harmsdorf, deren Biene-Maja Oberteil selbst in dieser Runde der Exzentriker ein Blickfang ist. Und wenn ich schon mal dabei bin, gleich noch ein Zitat von der Website: „Statt, dass alle ihr eigenes Süppchen im stillen Kämmerlein kochen, wollen wir ein Forum bieten, das kreative Köpfe zusammenbringt.“
Der Bedarf dafür ist offenbar groß, es ist von einer Warteliste die Rede, weil sich so viele um einen 15 Minuten Auftritt bewerben. Einige derer, die sich für diesen Abend angemeldet haben, sind allerdings auf dem Weg von Lübeck nach Berlin stecken geblieben: Autopanne. Aber der Rest des Ensembles lässt sich nicht lumpen und kommt auf die Bühne, um Text und Musik eines Fantasy-Musicals von Franziska Pohlmann aufzuführen. Und da neben dem halben Chor und der Musical-Schreiberin auch die Musiker auch auf der Strecke geblieben sind, singen sie der Not gehorchend zweimal a capella. Es kommt gut an. Und Sympathie-Punkte gibt es außerdem.
Wie lässt sich Begeisterung beschreiben? Die Männer und Frauen auf der Bühne gehen jedenfalls mit ebensolcher ans Werk. Und allesamt sind gut, Profis in dem was sie tun. Viele Texte sind witzig, manche schmalzig, die Musik von schnulzig bis spritzig. Je nach dem, worum es im Musical geht. Und weil alle so gut sind und die ihnen zugeteilten 15 Minuten aufs Beste nutzen, sei nur eine herausgegriffen: Als „die wunderbare Johanna Spantzel“ wird sie angekündigt. Und das ist sie. Nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmtechnisch. Denn ihr ursprünglich englisches Lied „Im vierten Stock“ komponiert von Jeanine Tesori und übersetzt von Titus Hoffmann, ist eine Herausforderung an Talent und Können. Die sie im Sinn des Wortes spielend und spielerisch meistert.
Da geh ich wieder hin.
Ach, übrigens, sehen Sie sich vor, falls sie das auch vorhaben: Die Begeisterung oben auf der Bühne und davor ist äußerst ansteckend. Das könnte sich als eine verflixte Aneinanderreihung von 15 Minuten erweisen. Was ist, wenn Sie plötzlich mitgerissen werden und der Meinung sind, Sie müssten ebenfalls sofort, umgehend, irgendwie Musicals schreiben? Ich muss gestehen, ich habe kurz darüber nachgedacht. Inzwischen bin ich wieder vernünftig. Ich bleibe vorläufig bei Romanen. Aber wer weiß. Falls Sie mal reinhören wollen: Lieder der ersten drei Veranstaltungen sind jetzt auf CD zu haben: http://shop.musicalclub24.de/
Wann die Bühne der schreib:maschine wieder offen ist? Keine Ahnung. Das wurde nicht gesagt. Und auf der Website steht auch nichts. Sie müssen halt nachfragen. Einen Kanal in Youtube gibt es übrigens ebenfalls (siehe oben). Email: info@die-schreib-maschine.de; http://www.die-schreib-maschine.de/
Nachtrag: Inzwischen weiß ich auch, wann die Schreibmaschine wieder klackt. Kevin hat mitgeteilt, das wird am 21. März sein. "Da wir letztes Jahr am 22. März die allererste offene Bühne hatten, werden wir dann unseren ersten Geburtstag feiern :-)."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen