Text und Bilder: Petra Gabriel
Die Geschichte der Köchin Mathilde und des Minnesängers, die unversehens zu deutschen Königsmachern wurden, musste lange auf ihre Umsetzung warten, weil andere Bücher (zwei historische Romane, zwei Krimis und ein Mystery-Roman) sich in den Vordergrund geschoben haben. Doch im März ist nun Abgabetermin für das Manuskript. Die „anschaulichen“ Grundlagen gelegt habe ich im Mai vor nun bald sieben Jahren. Zusammen mit meinem Mann bin ich im Auto tausende von Kilometern über den Balkan und Istanbul nach Kleinasien und wieder zurück gefahren, verbunden mit einem für diesen historischen Roman entscheidenden Abstecher. Er führte mich von Istanbul aus mit dem Flugzeug nach Tel Aviv und von dort aus weiter nach Akkon, auch Akers, Acre, Accho, Acco, Hacco und St. Jean d'Acre genannt. Ich habe damals ein Reisetagebuch geführt, aufgeschrieben, was mich berührt hat. Vielleicht haben Sie ja Lust, mich erneut zu begleiten. Und für diese Folge habe ich Fotos!
Von Eiligen,weniger Eiligen und dem Erinnern und einer alten Kreuzfahrerhochburg
Die Menschen in Tel Aviv scheinen ständig in Bewegung zu sein. Jedenfalls frönen sie der begeistert jedweder Körperertüchtigung. Niemand schlendert hier einfach nur so die Uferpromenade am Mittelmeer entlang und genießt das Rauschen der Wogen und die Schönheit der See. Obwohl, das mit dem Rauschen ginge ohnehin nicht. Der auch nachts nie abreißende Strom der Autos macht zu viel Lärm. Die Fremden fallen hier schon allein durch ihre Gangart auf, langsam, den Blick zumeist verzückt aufs Meer gerichtet.
Alle anderen bewegen sich in jedem möglichen Tempo von A nach B oder einfach nur so - vom Walking-Schritt bis zum wliden Galopp. Mal mit Hanteln in den Händen, mal mit Tüten, mal ohne. Und wenn sie dann anhalten, egal, ob Mann oder Frau, dann schauen sie erst einmal auf die Uhr, messen Zeit und Leistung, oder besser, deren Verhältnis zueinander. Danach folgen für gewöhnlich Kniebeugen, wilde Schlenkerbewegungen mit den Armen, dem Rest des Körpers und sonstige Verrenkungen. Ein Boxer übt Tritte und Schläge gegen einen unsichtbaren Gegner, eine junge Frau hat ihren Freund von hinten umklammert und marschiert eng an ihn gedrückt mit ihm im breitbeinigen Gleichschritt. Die beiden sehen wie eine Raupe aus. Und Tel Aviv ähnelt mit seinen Hochhäusern und der quirligen Atmosphäre ein wenig Frankfurt. Wenn da nicht das Meer wäre, und etwas Besonders in der Luft.
Doch wenn die Menschen inne halten, dann sind sie gastfreundlich, offen herzlich. G. B. aus Jerusalem treffe ich schon beim Einchecken, später dann auch ihren Mann. Sie wartet auf mich trotz der langwierigen Befragung bei der Einreise. Ich fürchte, ich konnte dem Mann und der Frau am Zolle nicht befriedigend erklären, warum ich ausgerechnet Petra heiße, wie diese uralten Stadt im Libanon. Ich dachte schon, ich hätte die sympatische Mitreisende verpasst. Doch da stand sie und bugsierte mich zu ihrem Mann. Den müssen Sie kennenlernen, befand sie. Er freut sich schon auf sie. Das fand ich wiederum bemerkeneswert.
G.B. ist etwa 50 Jahre alt, vielleicht auch 55, hat kurze, graumelierte Haare, lachende blaue Augen. Sie ist eine irisch-schweizerische Halbjüdin (oder so ähnlich), die lange in England gelebt, in Deutschland studiert hat, später nach Israel ausgewandert ist und lange in einem Kibbuz lebte. Sie ist die Mutter von zwei Töchtern und einem Sohn. G.Bs Mann gießt unter anderem Bronzeskulpturen zusammen mit einem Freund, der Künstler ist, und gestaltet Gärten.
Beide laden mich herzlich zu sich nach Jerusalem ein, bieten mir ihre Hilfe an, wann immer ich sie brauchen sollte, und spendieren mir einen Eiskaffe, nachdem klar wird, dass ich nicht mit nach Jerusalem kommen kann. Mein Ziel ist nun mal die Kreuzfahrerhochburg Akkon. Außerdem geben sie mir viele gute Ratschläge mit auf den Weg. Zum Beispiel den, mit dem Zug zu fahren.
Hilfsbereit ist auch der Mann an der Hotel-Rezeption. Obwohl mich die Dame, bei der ich einchecke offenbar für einen Dinosaurier hält, weil ich die Übernachtung in Tel Aviv nicht mit Kreditkarte, sondern bar bezahlen will. Die Vorauszahlung besänftigt sie. Doch Stephen von der Rezeption sucht mir unverdrossen die Zugabfahrtszeiten nach Akko am nächsten Morgen heraus heraus und ein Hotel dort. Auch der Taxifahrer auf dem Weg zum Hotel hat sich angeregt und interessiert mit mir unterhalten, was ich nicht selbstverständlich finde. Als Kind verschleppten ihn die Nazis ins Lager Lodz. Er überlebte. Er spricht noch gut Deutsch.
Am nächsten Morgen dann der Aufbruch zum großen Ziel: Akkon, im 13.Jahrhundert die Hochburg der Kreuzfahrer. Doch zunächst lerne ich auf dem Bahnhof in Tel Aviv eine Dame kennen, die mich für eine Engländerin hält. Wir kommen schnell ins Gespräch, und sie nimmt sich der Fremden an, die Angst hat, die Station zu verpassen an der sie aussteigen muss, weil sie halt nun mal kein Hebräisch versteht. Ich merke, wie sie zusammenzuckt, als sie später hört, dass ich Deutsche bin.
Sie war vier Jahre damals, doch sie kann noch immer nicht vergessen, was im Dritten Reich mit ihrer Familie geschah. Ihre Großmutter liegt in Hamburg begraben, sie würde das Grab gerne besuchen, doch: „Ich kann es einfach nicht. In mir zieht sich alles zusammen. Ich weiß, ich sollte das ändern. Meine Gefühle sind aber so.“ Bei ihren Kindern ist das anders, auch bei ihrem jüngeren Bruder, dem Arzt. selbst aber kauft keine deutschen Geräte, kann eigentlich nichts ertragen, was deutsch ist.
Später erfahre ich von ihr, dass ich die erste Deutsche bin, mit der sie seit damals gesprochen hat. Sie wolle dieses Gefühl eigentlich nicht, sagt sie, sie wolle keine Vorurteile haben, doch sie komme einfach nicht dagegen an. Aber sie könne nicht anders. Trotzdem lädt sie mich im Zug zum Kaffee ein. Sie steigt eine Station vor mir aus.
Ich finde es komisch, wenn Deutsche nach Israel kommen, meint die junge Soldatin, die bei uns sitzt. Sie gehört zur Air Force und hat von ihren zwei Jahren Dienstzeit noch fünf Monate übrig. Für Soldaten ist das Zugfahren umsonst, erklärt sie mir. Und warum findet sie es komisch, wenn Deutsche nach Israel kommen? „In Deutschland ist alles besser“, sagt sie bestimmt. Sie war im Rahmen eines Austauschprogrames dort.
Niemand im Zug verzieht auch nur eine Miene, als ein älterer Soldat mit einem Maschinengewehr durch den Gang läuft. Die Utzi oder vielleicht auch die Kalaschnikow (ich kenne mich mit Waffen einfach nicht aus) hängt an einem Riemen über seiner Schulter, der Lauf zeigt nach vorne, unten.
In Akkon
Im Hotel in Akkon passiert wieder, was mir dauernd passiert. Offenbar kann ich akzentfrei Shalom sagen. Aber nur das. Jedenfalls redet mein Gegenüber dann sofort hebräisch auf mich ein. Viele behaupten, ich sage Shalom wie eine Israeli. Ein bisschen stolz macht mich das schon, ich gebe es zu. Und draußen vor dem Hotel steht eine Wache. Wie vor jedem Restaurant und den meisten öffentlichen Gebäuden, auch den Banken. Doch das ist alles, was hier von den Auseinandersetzungen, den Bomben und den Toten zu spüren ist, die sich zwischen Israel und den Palästinensern wie ein scheinbar unüberwindlicher Wall türmen.
Akkon selbst ist beeindruckend. Die alte Kreuzfahrerstadt muss einmal prachtvoll gewesen sein. Im Gespräch mit Kassandra, einer der Stadtführerinnen, erfahre ich, dass wahrscheinlich noch nicht einmal fünf Prozent des alten Akkon ausgegraben sind. Die Archäologen sind in der alten Festung der Johanniter, genauer, in deren Spital, noch bei der Arbeit. Ich finde außerdem ein Buch, in dem alte Stadtpläne abgebildet sind und juble innerlich. Genau, was ich brauche.
Kassandra ist übrigens rothaarig und Belgierin. Sie weiß, wie die ersten Kreuzfahrer gekommen sind – auf dem Landweg, eine ähnliche Strecke wie wir. Sie besorgt mir sofort die E-Mail-Adresse des Leiters der Grabungsarbeiten, der im Moment gerade in Urlaub ist, als sie hört, dass ich für ein Buch recherchiere. Ihre Begeisterung für historische Romane begeistert mich wiederum, und ich gebe ihr meine Internetadresse.
Zwischen dem Akkon von heute und Tel Aviv ist ein himmelweiter Unterschied. Mindestens so groß wie zwischen Kroatien und Bosnien Herzegowina. Die Menschen hier sind arabischen Ursprungs, die Moschee neben den alten Mauern inzwischen der größte Bau der Altstadt. Die Frauen tragen Kopftücher und knöchellange Röcke. Trotzdem sieht eine, die mir auf dem Marktplatz begegnet als ich gerade unter einem Baum sitze und Kebab esse für mich so aus, wie ich mir die Jungfrau Maria vorstelle.
Vielleicht kommt mir das auch nur so vor. Denn hier, in Akkon, scheinen Israelis und arabisch stämmige Menschen friedlich zusammenzuleben, ohne Krieg, ohne Bomben. Und das, erfahre ich, war schon immer so. Ich wusste nicht, dass es in Israel auch Orte des - relativen - Friedens gibt. Denn auch die alte Kreuzfahrerhochburg liegt natürlich nicht auf einem eigenen Planeten. Und ich hoffe für die Menschen von Akkon, dass der Krieg seinen Weg nicht mehr bis hierher findet.
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