Donnerstag, 4. November 2010

Der Chor der Verdammten

Die Mitteilung in Wikipedia stammt von 2005, die Idee ist noch älter. Sie wird in diesem Jahr 50. Doch das Anliegen ist aktueller denn je. Am 15. November ist internationaler „Writers-in-Prison-Day“. Damit soll weltweit auf die Situation verfolgter Journalisten, Schriftsteller, Verleger und Buchhändler aufmerksam gemacht werden. Ja, auch Buchhändler.

Nun leben Schriftsteller alle auf eine bestimmte Weise in ihrem eigenen Gefängnis. Schreiben ist nun einmal ein ziemlich einsames Geschäft. Zumindest äußerlich. Und auch Schriftsteller haben eine Sozialisation und damit eine Schere im Kopf – ob sie es wollen oder nicht, ob es ihnen bewusst ist oder nicht.

Aber es gibt sie noch, jene, die diese Grenzen sprengen, die quer denken, die formulieren, was andere vielleicht noch nicht einmal zu denken wagen. Und die dafür mit ihrem Leben bezahlen. Nicht hier? Nicht bei uns? Wenn Sie sich damit auf die körperliche Unversehrtheit beziehen, könnten Sie Recht haben. Aber wie ist es mit der seelischen Unversehrtheit von all jenen Kollegen und Kolleginnen, die verzweifelt gegen den Mainstream anschreiben, wohl wissend, dass kein Verlag ihr Manuskript jemals drucken wird? Weil es sich nicht verkauft. Weil immer weniger Verlage bereit sind – und das sind dann meist die kleinen und mittelständigen – sperrigen Autoren und Autorinnen, die sich den herrschenden Moden nicht beugen, noch eine Chance zu geben.

Doch auch die können sich das immer weniger leisten angesichts einer Verlagsbranche, in der die Großen mit den großen Buchhandelsketten Rabattverträge schließen, in der lieber Übersetzungen von Büchern gedruckt werden, die schon bewiesen haben, dass sie im Ausland gut laufen. In der es auf der einen Seite Mainstream sein muss, oberflächlich genug, um Auflage zu bringen, und auf der anderen etwas „Besonderes“. Der Hype um Helene Hegemann war ein Beispiel dafür. Wie wurde sie anfangs als jung, sexy, ja, als d i e Vertreterin der jungen Generation hochgepuscht und verheizt, die die Alten an der Spitze der Medienkonzerne so gerne verstehen würden, um sie mit den entsprechenden Produkten als Kunden zu gewinnen. Wie es endete, wissen Sie ja.

Wieso bekomme ich dabei nur das Gefühl, dass manche Leute Bücher mit Kloschüsseln verwechseln? Oder mit Waschpulver oder mit – ach, setzten Sie doch selbst was ein.

Ideen können die Welt verändern, das müsste uns die Geschichte gelehrt haben – die Ideen von Voltaire, Descartes, von Jesus, Buddha oder Mohammed, die von Marx und Engels. Nun gut, vielleicht wurde sie dadurch nicht schöner oder besser, aber sie hat immerhin den Atem angehalten, gemessen an der Ewigkeit für einen kurzen Moment nur, ehe das Dampfross Geschichte sie wieder weggebügelt hat und sie Teil dieser Mainstream-Soße wurden, in der wir heute schwimmen.

Deswegen mein Appell an dieser Stelle: Lasst uns das Glas heben, auf jene, die noch immer unverdrossen darin paddeln und versuchen ans rettende Ufer zu kommen. Auf jene, deren Manuskripte abgelehnt werden, weil ein Lektor gerade schlechte Laune hatte oder der Stapel auf seinem Schreibtisch zu hoch war. Auf jene, die nicht nachlassen, die weiter leidenschaftlich gegen die Grenzen und Mauern anrennen, in denen sie eingesperrt sind. Auch gegen die, die sie sich selbst gebaut haben, um gedruckt zu werden. Auf jene, die nicht anders können als weiter zu schreiben, selbst, wenn es sie den Seelenfrieden oder gar das Leben kostet.

Und lasst uns gemeinsam den Chor der zum Schreiben Verdammten bilden. Lasst uns jenen alten Satz in die Welt hinaus schreien und singen, den schon Walther von der Vogelweide aufgriff, der um 1780 zum ersten Mal auf Flugblättern veröffentlicht, der später zur ersten Zeile eines deutschen Volkslied wurde und den viele in der sich immer schneller drehenden Spirale aus Alltag und Geldverdienen heute schon fast vergessen zu haben scheinen:

Die Gedanken sind frei.

Mehr: http://www.writersinprison.org/;
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Gedanken_sind_frei

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