Samstag, 2. Oktober 2010

Und Du, Berlin, verlierst

Dies ist ein Einfrauprotest. Nein, dies ist ein frustrierter Aufschrei, unobjektiv und emotional. Wieso, Berlin, nimmst Du mir den donnerstags freien Zugang zu meinen Lieblingszimmern, sperrst mich bei Ebbe im Geldbeutel aus von vielem, was meinen Hunger nach geistiger Anregung und meinen Durst nach Schönheit stillt? Und mit mir alle jene Niedriglohnempfänger, Ein-Euro-Jobber, Hartz-IV-Empfänger, unterversorgten Rentner und unterbezahlten Künstler, die nicht nur ums tägliche Brot, sondern auch noch darum kämpfen, wenigstens ein Stück Schönheit in ihrem Leben zu bewahren! Und das alles nur, weil wir nicht mehr 18 sind? Berlin – das ist nicht sexy. Das turnt mich ab. Das ist, als wollte man allen über 18 die Erotik abgewöhnen, all das, was das Leben kreativ und prickelnd macht.

Worauf ich mich beziehe? Auf die folgende Meldung, die – ziemlich an den Rand gedrängt – unter Vermischtes auf der ersten Berlinseite (Seite 9) des Tagesspiegel vom 1. Oktober zu lesen war:
Donnerstags nicht mehr
kostenfrei ins Museum
In die Staatlichen Museen haben Besucher bis zum 18. Lebensjahr künftig freien Eintritt. „Diese Regelung soll nicht nur Familien finanziell entlasten, sondern Jugendlichen ermöglichen, in ihrer Freizeit vermehrt die Museen zu besuchen“, heißt es. Die Regelung gilt ab Freitag. Dafür gibt es aber keinen freien Eintritt mehr für jedermann am Donnerstagabend. Die Museen wollen sparen. epd
Ehrlich Leute, wer ist für diesen Schwachsinn verantwortlich? Denn anders kann ich das nicht nennen. Das ist doch die pure Heuchelei. Bisher haben wir über 18-Jährigen uns nichts dabei gedacht, dass donnerstags auch die unter 18-Jährigen bei freiem Eintritt mit uns ins Städtische Museum gingen. Glaubt Ihr wirklich, dass die unter 18-Jährigen von Stund' an jeden Tag kommen und ihr sie damit von der Straße habt? Also wo bitte ist da die Entlastung für die Familien? Anders herum wird ein Schuh draus. Die Museen wollen nicht sparen, sie hoffen auf mehr Eintrittsgelder und das auf Kosten jener, die sowieso schon sparen müssen. Das ist schon mal das eine, das mich auf die Palme bringt.

Das nächste: Berlin, Du ach so sexy Stadt, die Du einen großen Teil Deines erotischen Selbstverständnisses daraus beziehst, dass Du die Stadt der Künstler bist, sperrst damit auch viele Deiner Kreativen genau aus jenen Orten aus, in denen Kunst zu sehen ist, nimmst ihnen eine Inspirationsquelle. Vielleicht sind ja jene etabliert und gesettled, die über Kunst entscheiden. Die haben meist genügend Geld in der Börse. Bei vielen Künstlern in Berlin ist das sicher nicht der Fall. Sie kämpfen jeden Tag ums Überleben und darum, irgendwie mit ihrer Kunst weitermachen zu können, also jene Kunst zu produzieren, mit der Du Dich in den Museen schmückst. Und viele von ihnen sind über 18. Aber die Urheber sind ja nicht wichtig, nicht wahr? Nur das Geld, das sich mit ihnen verdienen lässt.

Berlin, was habe ich für Werbung für Dich gemacht. Allen Leuten erzählt, wie toll ich es finde, in einer Stadt zu sein, die wenigstens einmal in der Woche Jedermann ohne Ansehen der Person und des Einkommens, ohne Bürokratie und beschämende Antragsstellung freien Eintritt zu dem gewährt, was eigentlich das Erbe aller Menschen ist, was doch uns allen gehört. Mal ganz abgesehen davon, dass es unser aller Steuergelder sind, die Deine Museen (und die anderswo) erst möglich machen.

Berlin, das ist nicht nur nicht sexy, das ist kleinkariert, spießig und darüber hinaus dumm. Wenn du so weitermachst, wirst du bald eine langweilige Stadt wie alle anderen. Und dann möchte ich mir nicht mehr vorstellen, in Berlin alt zu werden und mit jungen Leuten donnerstags im Museum über Kunst zu diskutieren oder mir mit ihnen zusammen anzuschauen, wie es kam, dass die Maler lernten, das Licht darzustellen. Nein, Du einst ach so sexy Berlin, Du bist dabei eine sehr langweilige Alte zu werden, geizig, verklemmt und ohne Erotik.

Wenn das so weitergeht, ziehen irgendwann die Künstler fort, die Kreativen, auf die Du so stolz bist. Und Du, Berlin, verlierst Deine Sommersprossen.

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