Samstag, 3. Juli 2010

Eine Reise ins 13. Jahrhundert, vierte Folge

Auf der Reise in Mathildes Welt habenwir immer wieder Grenzen überschritten.

Die Geschichte der Köchin Mathilde und des Minnesängers musste auf ihre Umsetzung warten, weil andere Bücher (zwei historische Romane, zwei Krimis und ein Mystery-Roman) sich in den Vordergrund geschoben haben. Doch jetzt schreibe ich daran. Die „anschaulichen“ Grundlagen gelegt habe ich – vor etwa sechs Jahren – bei einer anderen Reise, deren Bilder jetzt wieder lebendig werden: Zusammen mit meinem Mann bin ich im Auto tausende von Kilometern über den Balkan und Istanbul nach Kleinasien und wieder zurück gefahren, verbunden mit einem für diesen historischen Roman entscheidenden Abstecher. Er führte mich von Istanbul aus mit dem Flugzeug nach Tel Aviv und von dort aus weiter nach Akkon, auch Akers, Acre, Accho, Acco, Hacco und St. Jean d'Acre genannt. Ich habe damals ein Reisetagebuch geführt, aufgeschrieben, was mich berührt hat. Vielleicht haben Sie ja Lust, mich zu begleiten. Leider gibt es nicht mehr zu allen Folgen Fotografien. Sie sind irgendwo in den Tiefen meines PCs verschwunden. Das gilt auch für diesen Reiseabschnitt.

Mathildes Geschichte, Folge 4: Treibsand und Grenzen, geschrieben 1. Mai 2004

Treibsand im Kopf. Wieder einmal angekommen. Vor dem großen Panoramafenster in der Lounge des Hotels in Istanbul mit Blick auf das Meer treiben die Frachter vorbei. In Reih und Glied wie die Soldaten warten sie auf Einlass in den Hafen. Byzanz, Konstantinopel, Istanbul, die Schöne, habe ich bisher nur von weitem gesehen. Die Pianistin am Klavier spielt Lieder voller Sehnsucht nach Weite.

Ich denke an Dubrovnik, die vitale alte Dame, deren ausgebesserte weiße Mauern strahlend ins blau-gekräuselte Meer hineinlächeln. 24 Stunden und viele Grenzen später bin auch ich an einer Grenze angekommen. An meiner. Einen Tag und eine Nacht dauerte die Fahrt von Dubrovnik nach Istanbul. Stunden, in denen ich kaum geschlafen und die verschiedensten Menschen beobachtet habe. In Bosnien-Herzogewina zum Beispiel. Ein Land mit Menschen, deren Gesichter genauso faltig und karstig sind, so kantig und karg wie die Berge, in denen sie leben. Sie blicken von ihren Bergen aufs Meer hinunter, das wie eine geheimnisvolle Verheißung in der Sonne glitzert und können es doch nicht mehr erreichen so, wie damals, als es Jugoslawien noch gab. Sie sind nicht gern gesehen in Dubrovnik.

Nicht nur der rotweiße Schlagbaum mit den Rostflecken trennt den mürrischen, untersetzten Mann, der aus dem provisorischen Container der Zollstation kommt, von diesem lockenden Meer, das er doch jeden Tag vor Augen hat. Zwischen ihm und der Küste türmen sich die Schatten von Krieg und Tod wie eine unüberwindliche Mauer. Er beäugt uns misstrauisch aus dem Containerfenster, dann hebt der den Schlagbaum.

Diese Grenze ist viel weniger organisiert als andere, an denen wir in den nächsten 23 Stunden noch stehen werden. Diese sind dann gut organisiert - mit jeweils drei Durchschlägen, diversen Stempeln von diversen Zollhäuschen oder Stuben, durch die die Einreisenden wie eine Hammelherde zur Desinfektion geschleust werden. Das ist wörtlich zu nehmen, obwohl: Das Desinfektionsbecken zwischen Bulgarien und Serbien Montenegro, durch das wir fahren, enthält so gut wie nichts zum desinfizieren.

Zurück nach Bosnien-Herzogewina. Der Kontrast zu Kroatien könnte nicht größer sein. Unten, am Meer, herrscht die Leichtigkeit des Südens. Hier, in den Bergen, wirken selbst die grünen Baume grau. Die Menschen sind offensichtlich arm, viele haben Augen ohne ein Lächeln, selbst bei den Kindern fehlt der Funke. Das Land ist voller Müllhalden am Wegesrand.

Volkswagen müsste dringend ein Werk dort bauen. Ein uralter, rostiger Golf nach dem anderen begegnet uns in den Serpentinen. Es gibt fast keine anderen Automarken. Und in den Höfen mancher Häuser türmt sich ein Golf-Wrack über dem anderen. Daraus sind offensichtlich die Autos zusammengebastelt worden, die noch fahren. Aber meistens im Kriechtempo. Ich behaupte ja, sie fahren mit Heizöl. Beweisen kann ich es nicht. Wir sehen herunter gekommene Häuser, viele Bauruinen, die von ihren Besitzer offensichtlich einfach aufgegeben worden sind. Vielleicht wegen des Geldmangels, vielleicht wegen des Krieges. Wer weiß das schon. Hier sieht die Gegend jedenfalls aus, als sei dieser Krieg nicht bereits rund zehn Jahre her.

Auch Gorašde ist noch immer eine vom Krieg gezeichnete Stadt. Doch in Srbska, in Serbien-Montenegro, ist das Leben weiter gegangen. Die Menschen, an denen wir vorbei fahren, strahlen Hoffnung aus, sie gehen beschwingter. Auch sie sind sicher nicht reich, aber sie haben sich daran gemacht, ihr Land in Ordnung zu bringen, sich die Option auf eine bessere Zukunft geschaffen.

Wir erreichen die bulgarische Grenze bei Dunkelheit. Es ist schon spät und trotzdem sind nicht mehr als etwa 400 der vorgesehenen rund 1200 Kilometer geschafft. Wir haben von den strengen bulgarischen Einreiserichtlinien gelesen, doch es kommt nicht so schlimm wie befürchtet. Manchmal ernten wir sogar ein Lächeln bei der Bemühung, das Wort Danke in der jeweiligen Landessprache zu lernen.

Wir erleben einfach die nächste Geldwechslerin - und dieses Mal eine lange Wartezeit, trotz der Nachtstunde. Weiß der Teufel, was erst die montenegrinischen und dann die bulgarischen Zollbeamten mit unseren Pässen, den Autopapieren und den sonstigen Dokumenten so lange machen, nachdem sie durch das kleine, viereckige Fensterloch in der Baracke verschwunden sind. Es ist zwei Uhr nachts. Sie müssten doch auch müde sein. Eine Zollbeamtin, eine junge, blonde Frau, flaniert flirtend mit einem Kollegen in einiger Entfernung vorbei und ich frage mich - inzwischen schon etwas bissig - ob sie nicht vielleicht mit Pässe abstempeln könnte.

Die Lastwagenfahrer werden offenbar an jeder Grenze schikaniert. Zumindest kommt es mir so vor. Mein Mitleid schwindet jedoch rapide mit jeder Serpentine, jedem Krater in der Straße und jedem unbeleuchteten Tunnel, in dem ein Lastwagen mit Tempo 20 uns daran hindert, endlich voran zu kommen. Ich finde entschieden, Lastwagefahrer arbeiten zu viel. An Skopje fahren wir vorbei. Ach, noch etwas. Bulgarien ist eindeutig das Land mit den meisten Polizeikontrollen, das ich kenne. Alle paar Meter brechen die Hüter der öffentlichen Ordnung aus irgend einem Gebüsch hervor und winken die Durchreisenden zur Seite. Insbesondere jene, die zu schnell fahren. Der Sozialismus hat zwar nicht überlebt, aber hat Kontrolleure aus Berufung hervorgebracht. Die bulgarischen Polizisten stecken ihr ganzes Herzblut und ihr nimmermüdes Engagement in die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - auch noch weit nach Mitternacht.

Als der Morgen rot und schon fast kitschig heraufdämmert, nähern wir uns der türkischen Grenze. Ein einladender, leicht geschwungener Torbogen mit Marmor-Umrahmung und goldener Gravur heißt uns in der Türkei willkommen. Anders ist das mit den Zöllnern. Etwa zwei Stunden Wartezeit. Als ich sehe, wie viele Papiere sie stempeln müssen, wie viele Unterlagen wir bekommen (und alles kostet natürlich, Lira in diesem Fall, am liebsten aber Euro), verstehe ich, warum. Zumindest zum Teil. Der Gesichtsausdruck der Männer reicht von desinteressiert bis unfreundlich. In fast jeder Hand, die irgendwelche Daten in irgendeinen Computer eingibt, glimmt eine Zigarette, die Asche fällt auf die Tastatur. Doch niemanden stört das. Der Empfang ist nicht gerade einladend. Wir werden wieder desinfiziert (ein weiterer Zettel, drei Euro). Ich würde am liebsten umkehren, zurück nach Dubrovnik.

Doch im Land selbst ändert sich der Eindruck rapide. Durch meine Dusseligkeit sind wir aus Versehen zum Bezahlen der Autobahn-Maut durch die GPS-gesteuerte Passage gefahren. Dort, wo alles digital abläuft (im Gegensatz zu uns schaffen die Türken so etwas), anstatt durch Pforte, in der ein Mensch das Ticket entgegen nimmt, diejenige für Menschen eben, die nicht mit einer Nummer oder sonstwas, bei diesem System registriert sind. Wir brausen durch und stehen dann dumm da, als wir unseren Fehler bemerken. Im Sinn des Wortes. Denn es ist klar, unsere Autonummer haben sie jetzt. Und wer weiß, vielleicht wollen wir ja wieder einmal in die Türkei. Hindurchfahren will einer von uns auf jeden Fall.

Ich mache mich auf den Weg, um die Scharte auszuwetzen und quere todesmutig alle anderen Fahrbahnen (wir waren ganz hinten). Das trägt mir erstaunte Blicke ein und die Auskunft, ich müsse mich an den Chef wenden. Mehr Englisch kann hier offenbar niemand. Ich marschiere in meiner Verzweiflung zu einem der zahlreich vertretenen Hüter der türkischen Ordnung. Ein ganz besonders väterlicher Polizist versteht mich zwar auch nicht, aber er setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um mir zu helfen, ruft übers Handy sogar bei einem Freund an, der Deutsch kann. Der begreift aber auch nicht so recht was ich will, nämlich die Maut bezahlen. Vielleicht erkläre ich die Sache schlecht. Jedenfalls stehen am Ende mehrere Polizisten um mich herum, reiben sich gedankenvoll das Kinn und überlegen, wie dieser übermüdeten Fremden wohl zu helfen wäre.

Um es kurz zu machen - am Ende finden wir den Chef. Der gibt uns einen Zettel mit, der beweist, dass wir bezahlt haben. Falls die Fahndung schon angelaufen sein sollte. Klaus und Ted werden von ihrer Warteposition erlöst, in der sie den Strom der Richtung Istanbul preschenden Autofahrer (richtig, türkische Autofahrer preschen, egal, ob die Ampel rot ist oder sie zu schnell fahren) bedenklich hemmen, gewissermaßen eine Stromschnelle bilden und die entsprechenden ärgerlichen Reaktionen auslösen.

Wieder haben wir Grenzen überschritten. Ich frage mich, ob es den Kreuzfahrern von einst genauso ging und stelle neidvoll fest, dass sie wenigstens mehr Zeit hatten, sich mit den Stationen auf ihrem Weg zum Ziel zu beschäftigen, auch wenn das Reisen selbst viel langsamer und sehr beschwerlich war. In meinem Kopf jedenfalls ist nur noch Treibsand. Aber, das sagte ich ja schon.

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