Freitag, 16. April 2010

Eine Reise ins 13. Jahrhundert, erster Tag


Bild: Collage aus dem Codex Manesse

Manchmal dauert es und bedingt einen langen Weg über verschlungene Pfade, bis ein Roman Gestalt annimmt. Die Geschichte der Köchin Mathilde und des Minnesängers musste auf ihre Umsetzung warten, weil andere Bücher (zwei historische Romane, zwei Krimis und ein Mystery-Roman) sich in den Vordergrund geschoben haben. Doch nun, nachdem auch eine Fantasy-Geschichte geschrieben und ans Lektorat abgeschickt ist, bin ich bei der Arbeit. Nein, ich sollte besser sagen: Es ist mir ein unbändiges Vergnügen, erneut eine Zeitreise im Kopf antreten zu können. Dieses Mal führt mich das Abenteuer Schreiben ins 13. Jahrhundert, und ich mäandere zwischen dem Hochrhein, dem Heiligen Land, zwischen Kreuzrittern, Schlachten, Hunger, Gewalt und Liebe zur Zeit des Interregnums.

Die „anschaulichen“ Grundlagen gelegt habe ich – übrigens vor fast genau sechs Jahren – bei einer anderen Reise, deren Bilder jetzt wieder lebendig werden: Zusammen mit meinem Mann bin ich im Auto tausende von Kilometern über den Balkan und Istanbul nach Kleinasien und wieder zurück gefahren, verbunden mit einem für diesen historischen Roman entscheidenden Abstecher. Er führte mich von Istanbul aus mit dem Flugzeug nach Tel Aviv und von dort aus weiter nach Akkon, auch Akers, Acre, Accho, Acco, Hacco und St. Jean d'Acre genannt. Jene Stadt, die nach dem Fall Jerusalems zu einer der letzten Bastionen der Kreuzfahrer in Heiligen Land geworden ist.

Ich habe damals ein Reisetagebuch geführt, aufgeschrieben, was mich berührt hat. Vielleicht haben Sie ja Lust, mich zu begleiten. Ich werde die Etappen jetzt nach und nach in meinem Blog veröffentlichen. Natürlich gibt es zu einigen Beiträgen auch Fotos. Sie finden die einzelnen Beiträge – wie immer im Blog in umgekehrter Reihenfolge – unter den Stichworten „Mathildes Geschichte“ und „Schreibtisch".



Mathildes Geschichte: erster Tag, von Rorgenwies nach Italien, geschrieben am 26. April 2004.

Zwei Gläser Wein am Abend im Hotel kurz vor Triest. Die Bilder der Erinnerung überlagern einander. Gestern noch war da der kleine Junge im weißen Habit, umgürtet, fast sah er aus wie ein Mönch. Er trug die weiße, geschmückte Kerze stolz wie ein Ritterschwert vor sich her. Rorgenwies feierte mit seinen Kindern den weißen Sonntag. Florian, der Neffe von Klaus, ist eines von ihnen. Davor, auf der Hinfahrt von Laufenburg aus, die weichen, busig-sanften Hügel des Hegaus. Dann die Erinnerung an einen kleinen Bachlauf, Schlüsselblumen in sanftem Gelb, Sumpfdotterblumen, knallig wie die Sommersonne. Gespräche, feiern, viele Menschen, viel Essen.

Heute Morgen, möglichst leise, der Abschied von Rorgenwies. Wir wollen früh los, gegen 5.30Uhr schaffen wir es. Überlingen, Friedrichshafen, inzwischen ist die Sonne über dem Bodensee aufgegangen. Der rote Schimmer im Osten prophezeit einen schönen Tag. Bregenz, Vorarlberg, wir nähern uns dem Arlbergpass. Wir wollen nicht durch den Tunnel. Ab hier verändert die Natur ihren Charakter, wird härter. Eisig schön schimmern die Berggipfel im Sonnenlicht. Die Atmosphäre fühlt sich rau an, wie Schmirgelpapier. Wir legen einen Stopp ein. Klaus will die Laufenburg-Site noch ändern, doch die Berge versperren den freien Funkkontakt zum Satelliten.

Bei einem Holzstapel am Stausee in der Nähe von Graun halten wir einfach nur, weil es schön ist. Und weil der Morgendämmerungskaffee wieder nach draußen will. Ein alter Mann schiebt seinen Schubkarren mühsam über eine steile Hangböschung direkt an der Straße. Er trägt einen roten, grob gestrickten Pulli. Es ist noch kalt. Dann schlurpt er hinter der Schubkarre her zu einer alten Frau, die auf der Holzbank vor dem Bauernhof sitzt und auf ihn wartet. Der Schäferhund regt sich kaum, als er ankommt. Wir lassen die Beiden hinter uns. Kurz darauf machen wir wieder Halt. Beim Kirchturm im Reschensee, der noch heute in den gestauten Wassern von einem versunkenen Dorf erzählt. Er wirkt einsam, irgendwie wie ein Zeigefinger.

Von der Majestät der Berge ist immer wieder zu lesen. Dieser Ausdruck kommt mir in den Sinn, als wir weiter fahren – über den Reschenpass und wer weiß wie viele andere Pässe noch. Überall an den Hängen, die zu karstigen, breitnackigen Bergen und schließlich zu schneebedeckten Gipfeln werden, sind Festungen gebaut worden. Manche kleben wie Adlernester am Fels. Ich frage mich, ob es den Reschen- und den Arlbergpass im 13. Jahrhundert schon gegeben hat, damals, als die Kreuzfahrer ins Heilige Land zogen. Manche müssen einfach über Land gepilgert sein, schließlich liegt der Hochrhein eine Strecke vom Meer entfernt. Aber über die Dolomiten? Ich stelle mir marodierende Heere vor, die von den Burgbesatzungen in Schach gehalten und verjagt werden, dann wieder kleine Grüppchen demütig bittender, hungernder Pilger. Bettler in einem Land, in dem das Leben sowieso schon nicht leicht gewesen sein muss. Südtirol: Es scheint so lieblich zu sein, so grün, so gesegnet. Doch durch den grünen Schein schimmert die Härte des Lebens. Diese Natur gibt den Menschen nicht einfach so. Die Bauern sprengen schon ihre Obstplantagen, der Wasserschweif der Sprenger glitzert im Sonnenlicht. Die Bergwelt macht atemlos. Auch das klingt gestelzt, oft gehört. Worte werden widerspenstig, wenn es um Wunder und um solche Schönheit geht.

Klaus lacht. Inzwischen habe ich ihm schon bei der fünften Burg erzählt, dass dies nun wirklich die Festung von Oswald von Wolkenstein, dem berühmten Minnesänger, sein muss. Wir kommen auch in den Ort Wolkenstein. Doch da sehen wir keine Burg Wolkenstein.

Es wird stiller im Auto. Wir schweigen. Weil es so schön ist. Und weil auch die schönsten Passstrassen einmal müde machen. Dann, endlich, führt der Weg wieder bergab. Das Tal weitet sich, das Meer, die Adria, ist schon fast zu riechen. Der Tag geht zur Neige. Ein Tag, der uns durch so viele Welten in dieser Welt geführt hat. Vom Schwäbischen Meer an die Adria. An beiden Wassern weht der Duft des Südens. Doch am Mittelmeer riecht es schon ein wenig nach Sommer. Die Glyzinien blühen bereits und die ersten rosa Rosen im Hotelgarten. Das Meer liegt pechschwarz und verschmilzt mit der Nacht.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hübsches Stimmungsbild, Petra. Eigentlich wollte ich's nur überfliegen, jetzt hab ich's ganz gelesen ;-)

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Richard

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