Sonntag, 21. Februar 2010

Sehr geehrte Helene Hegemann,

heute Nachmittag habe ich bei Croissant und Milchkaffee im Café Luise meine Meinung über Sie geändert. Nicht ganz freiwillig, muss ich eingestehen. Eigentlich war ich zu einem Spaziergang aufgebrochen, der mich kreativtechnisch gesehen mit der nächsten Szene meines neuen Buches vertraut machen sollte. Ich landete bei der Lektüre des Kulturteils im heutigen Tagesspiegel. Anfangs wollte ich das Interview mit Ihnen nicht lesen. Ich war der Auffassung, dass viel zu viele Leute dieser unschönen Angelegenheit aus den falschen Gründen viel zu viel Aufmerksamkeit widmen. Dann habe ich es doch getan – schließlich sollte man über die Bescheid wissen, die man verurteilt.

Ja, ich gebe es zu. Auch ich gehörte zur Bäh-Fraktion der Selbstgerechten, habe jedem, der es hören wollte, erklärt, dass abschreiben ja nun wirklich nicht geht. Ich muss dazu sagen, dass ich in dieser Beziehung schon eine viel längere Gehirnwäsche hinter mir habe als Sie. Ich habe längst verinnerlicht, was man nicht tut. Und für den Schutz geistigen Eigentums gibt es durchaus einleuchtende Gründe. Ich mag es auch nicht, wenn jemand meine Formulierungen klaut. Ich bemühe mich also bis zum heutigen Tage redlich, meine Erfahrungen und all die Sätze, die ich im Laufe eines Lebens in mehreren Tausend Büchern gelesen, gedanklich hin- und hergewälzt und schließlich irgendwo in meinem Unterbewusstsein abgelegt habe, im stillen Kämmerlein so zu verquirlen, dass etwas daraus entsteht, das man authentisch nennen könnte.

Sie tun all das nicht. Sie verquirlen öffentlich. Und nachdem ich das Interview gelesen haben, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Sie genau deshalb authentisch sind. Sie stehen zu sich und dem, was sie tun. Ich habe Ihr Buch nicht gelesen. Ich weiß nicht, was darin Plagiat ist und was nicht. Ich kann mir dazu also keine eigene Meinung bilden. Mir geht es um die Haltung, die Sie an den Tag legen. Ich muss schon sagen, Sie haben Chuzpe. Die ewig Selbstgerechten, die wahrscheinlich auch nicht immer so ganz authentisch geblieben sind, tun alles, um Sie zur Darstellerin einer Schmierenkömmödie zu machen. Und sie? Sie lassen das einfach nicht zu. Ich kann mir vorstellen, diese Tage sind nicht leicht für Sie. Für die Selbstgerechten, die die Sie erst in den Himmel gehoben und dann auf den Boden haben knallen lassen ist diese ganze Geschichte ziemlich entlarvend. Mir gefällt das.

Noch etwas muss ich eingestehen. Ich war neidisch. Nein, das ist das falsche Wort. Ich will lieber nicht in ihrer Haut stecken. Traurig passt eher. Seit Jahren schreibe ich meine ach so authentischen Bücher. Sie wurden immer wohlwollend aufgenommen, doch keines hat einen derartigen Wirbel verursacht wie Ihr Erstling. Da kommt so eine unverfrorene Rotzgöre daher, kopiert ein bisschen was - und schon beginnt der Hype, dachte ich. Deswegen konnte ich mir eine klammheimliche Schadenfreude nicht verkneifen, als dann alle über Sie herfielen. Tut mir leid. Genau das sprechen Sie im Interview mit dem wunderbaren Titel „Ich bin leider auch altklug“ ungeniert an. Sie wissen wenigstens, was Sie tun und warum. Alle Achtung.

Sie sind genau das Mädchen, das ich immer sein wollte und nie zu werden gewagt habe. Weil ich es immer allen recht machen wollte. Das wollen Sie nicht. Und das Schönste ist, Sie haben bewiesen, dass man deshalb trotzdem nicht automatisch in der Gosse landet. Ich werde deshalb allen, die sie gerne klitzeklein mit Hut sehen wollen, dieses Interview im Tagesspiegel empfehlen.

Ich weiß nicht, ob Sie diese Zeilen jemals lesen. Das ist auch nicht wichtig. Ich weiß ebenfalls nicht, ob ich jemals Ihr Buch lesen werde. Auch wenn es albern klingt, ich lese Bücher, die einen Hype auslösen, erst dann, wenn der Hype vorbei ist. Es könnte deshalb sein, dass ich den Titel bis dahin vergessen habe. Falls ich ihn mir überhaupt jemals merken können sollte. Sie gehören jedenfalls zu den bösen Mädchen, die bekanntlich überall hinkommen, wie Kollegin Ute Erhardt ihr Buch übertitelte. Ich habe es auch nicht gelesen. Aber in einem bin ich mir sicher. Ich werde mir ein Beispiel nehmen und das böse Mädchen in mir pflegen. Naja, vielleicht nicht ganz so extrem wie Sie. Doch was soll ich allein im Himmel?

Mit freundlichen Grüßen

Petra Gabriel


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Liebe Petra,
danke für diesen erhellenden Beitrag und den Link zu dem Artikel, der Dich heute beschäftigte!
Inhaltlich habe ich dem nichts hinzuzufügen, doch wünsche ich Deinen Zeilen viele verständige und verstehende Leser. Sie sind es wert!
Mit vielen Grüßen
Ch. Scheinhardt

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