Mittwoch, 11. März 2015

Wege in die Geschichte: Eine andere Frau

Tamara Bunke; Archiv HTW Berlin
Wer Romane schreibt, begegnet Menschen. Manche leben noch, bei anderen lebt der Mythos und treibt Blüten. Tamara Bunke (* 19. November 1937 in Buenos Aires, Argentinien; † 31. August 1967 in Vado del Yeso, Bolivien), deutsch-argentinisch-kubanische Revolutionärin, ist solch ein Mensch. An ihr scheiden sich bis heute die Geister. Tania La Guerrilera, die Genossin an der Seite Guevaras, die Ikone, die Heldin – in Ostdeutschland wurden Schulen nach ihr benannt. Im Westen war sie lange Jahre kaum bekannt, höchstens noch als jene junge Frau, der ein Verhältnis mit Che nachgesagt wird. Die Betonung liegt auf nachgesagt. Oder war sie noch eine ganz andere Frau?

Sie führte auf jeden Fall ein Leben, das dazu angetan ist, die Fantasie anzuregen. Die meinige auf jeden Fall. Zumal ich demnächst nach Kuba gehe. Für ein Jahr (mit Unterbrechungen), um für den Herder Verlag über das Leben und die Menschen dort zu schreiben. Arbeitstitel: „Ein Jahr auf Kuba“.

Auf Kuba ist Tamara Bunke eine Heldin. Dort liegt sie an der Seite Ches im Mausoleum in Santa Clara. Und wer, wenn nicht die Helden, die sich ein Volk wählt, sagen etwas über eine Gesellschaft und deren Werte aus. Dasselbe gilt aber auch für den Umgang mit ihnen nach dem Tod und für den Umgang mit dem Tod selbst. Friedhöfe sind ein guter Ort, um etwas darüber zu lernen, wie die Menschen leben, deren Angehörige dort begraben sind.

Also habe ich mich aufgemacht, mehr über diese Frau zu erfahren und bin mitten im Projekt Tamara Bunke gelandet, das Professor Dr. phil Oliver Rump an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit Dr. Kai Rump (Sozial- und Wirtschaftshistorikerin und Archivarin) und rund einem Dutzend seiner Studenten derzeit stemmt. Das große Ziel: neben einer Dokumentation eine Wanderausstellung und 2015 am 31. August, Tamara Bunkes Todestag, eine Ausstellung im Eingangsbereich des Mausoleums in Santa Clara zu erarbeiten. Dort liegen ihre Gebeine neben Che Guevara und vielen anderen Helden der kubanischen Revolution.

Womit wir beim Stichwort mugocu (museology goes Cuba) wären: Seit 2013 arbeiten engagierte Freiwillige, vor allem Museumskundlerinnen und -kundler des Studiengangs Museumskunde an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) sowie Dr. Kai Rump und der Architekt Dirk Ehrlichmann gemeinsam mit kubanischen FachkollegInnen daran, die Bedingungen für die anvertrauten Archivalien, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Archivnutzerinnen und -nutzer des überregional bedeutenden Archivs von Sancti Spiritus sowie des dortigen Museums auf Kuba schrittweise zu verbessern.

Vor diesem Hintergrund war es ein Glücksfall, dass ebenfalls seit 2013 der Archivbestand der Revolutionskämpferin Tamara „Tania“ Bunke im Studiengang Museumskunde verwahrt wird. In der Zwischenzeit ist er mit finanzieller und ideeller Unterstützung des Kooperationspartners Cuba Sí (Projekt mugocu) im Rahmen eines Praxisprojektes 2013/14 archivgerecht aufgearbeitet worden. Professor und Studenten haben zudem die Chance gut genutzt, um seit dem Wintersemester 2014/15 den Bestand zu sichten, zu erschließen, in Teilen zu digitalisieren und auszuwerten. Abgezeichnet hat sich dabei die facettenreiche Geschichte einer jungen Frau, die sich ihren Idealen verschrieb, für sie kämpfte, die schließlich zur Waffe griff und mit 30 Jahren eines gewaltsamen Todes starb.

Genau darum geht es auch mir in meinen Romanen immer und immer wieder – um die Annäherung an den Menschen hinter der Ikone, jenseits der Klischees. Eine Terroristin, sagen die einen. Eine Heldin die anderen. Tamara Bunke war Partisanin, Sportlerin, Musikerin, Journalistin, Übersetzerin, Tochter, Schwester und noch vieles mehr. Ihr Bruder, Olaf Bunke, ist ein bekannter Wissenschaftler, der – und das empfinde ich schon ein wenig als Ironie der Geschichte – nach der Wende nach Amerika ging. So ist das eben mit den vier Ws – der Wahrheit, der Wirklichkeit und den Widersprüchen in deren Wahrnehmung. Sie hängen von der jeweiligen Sichtweise ab.

Das Museumsprojekt, das ist zumindest mein Eindruck, ermöglicht nun den Zugang zu einer nicht alltäglichen Persönlichkeit und kann dem Mythos Tamara belastbare Fakten entgegensetzen. Möglich wird das durch den oben erwähnten Nachlass, neun Kartons mit Briefen, Zeugnissen, Dokumenten jedweder Art, katalogisiert in 189 Seiten mit Exeldateien, sowie eine Box mit Gegenständen wie Fahnen oder Tonbänder; und durch das Engagement eines Hochschullehrers, einer Archivarin und einer Gruppe von Studenten.

Auch die Art des Umgangs mit den Helden eines anderen Volkes, in diesem Fall sogar eines anderen politischen Systems, sagt viel über eine Gesellschaft aus.

Danke, dass ich dabei sein durfte.


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