Mittwoch, 23. Februar 2011

Heimkehr aus dem 13. Jahrhundert, Folge 8: Antalya

In Antalya

Straßentreffen an der Mauer von Antalya

Hadrians Bogen mit Mann. Text & Fotos: P.G.

Die Geschichte der Köchin Mathilde und des Minnesängers, die in der letzten Hälfte des 13. Jahrhunderts unversehens zu deutschen Königsmachern wurden, musste lange auf ihre Umsetzung warten, weil andere Bücher (zwei historische Romane, zwei Krimis und ein Mystery-Roman) sich in den Vordergrund geschoben haben. Doch im März ist Abgabetermin für das Manuskript. Die „anschaulichen“ Grundlagen gelegt habe ich im Mai vor nun fast sieben Jahren. Und außerdem neigt sich auch die schönste Reise mal dem Ende zu. Ab jetzt ging es nordwärts.

Hadrians Bogen, geschrieben am 8. Mai 2004

Der alte Mann im grünkarierten Hemd und der braunen, abgewetzten Hose sitzt auf der Bank, den Kopf vornüber geneigt, das Kinn fast auf der Brust. Er macht ein Nickerchen, die Augen sind vom Schild seiner beige-grauen Kappe verdeckt. Seine Frau in ihrem blauen Kleid mit den weißen Blümchen sitzt neben ihm fast regungslos, die Hände im Schoß gefaltet. Sie wartet, bis er bereit ist, weiter zu gehen. Er hebt den Kopf. Ohne ein Wort steht sie auf, er folgt ihr mit unsicheren Schritten. Beide kümmern sich nicht darum, was um sie herum vorgeht. Es ist eine der Hauptstraßen von Antalya.

Mir ist schleierhaft, wie jemand bei einem solchen Lärm einnicken kann. Auf der Straße, die direkt an der Sitzbank vorbeiführt, hupen und lärmen die Autos. Gleich nebenan hämmern Rap-Songs mit englischen Texten aus Lautsprechern. Ein Elektrogeschäft feiert offensichtlich Tag der offenen Tür oder Jubiläum. Ein Taxi bringt jedenfalls gleich mehrere lange Latten, die oben einen ovalen Fächer aus den verschiedensten Blumen und Spruchbändern tragen. Sie kommen zu den anderen, die schon rund um ein Buffet im Freien aufgestellt wurden. Ein Eishändler nutzt das dazugehörige Zeltdach und hat seinen Eiswagen darunter geschoben. Immer, wenn besonders hübsche Mädchen vorbeikommen, spießt er einen fast kindskopfgroßes Brocken Schokoladeneis auf einen Stock und wirbelt ihn unter mächtigem Gebrüll durch die Luft. Die Mädchen schauen nicht einmal auf. Und im Kaffe nebenan führen zwei Männer gestenreich und lautstark eine Debatte. Auf Türkisch natürlich und ich verstehe kein Wort. Es wäre sowieso zu laut.

Hadrians Bogen ist nicht weit von hier. Im Schutz von großen Bäumen sitzen dort Männer auf Bänken und schauen den Vorübergehenden zu. Hier also hat auch Hadrian im Jahre 130 einen Besuch gemacht, damals, als die Christenheit noch ganz jung war und es den Islam noch nicht gab. Dafür bauten ihm die Menschen von Antalya dieses wunderbare, dreifache Tor mit den kunstvollen Steinornamenten in die Stadtmauer. Für uns wird wohl niemand einen Bogen bauen. Dafür können wir uns nun vor und unter Hadrians Bogen gegenseitig fotografieren.

Dahinter beginnt die Altstadt. Doch wir kommen nicht weit. Der Teppichhändler findet instinktiv genau die richtigen Worte, damit ich stehen bleibe: "Das ist das älteste Haus in Antalya." Später wird aus dem ältesten Haus eines der ältesten, wir werden in den Garten geführt, dann in den marmornen Hamam (das türkische Bad), der eigentlich noch ziemlich neu aussieht. Kurz danach sitzen wir beim unter Teppichhändlern offenbar üblichen Glas Apfeltee und finden uns mitten in einer politischen Standpauke wieder. "Wir sind der Dorn im Auge von Europa", sagt der Cousin, der uns jetzt "übernommen" hat (hatten wir das nicht schon mal?). Widerspruch ist nicht drin.

Der Cousin spricht übrigens fließend Deutsch, behauptet, er sei nur drei Jahre zu Schule gegangen, hat aber drei Töchter, die studieren, eine davon ist Ärztin. Was ihn wiederholt zur Feststellung veranlasst, die wir weder bestreiten können noch wollen: "Wir Türken sind nicht mehr dumm." Er ist jedenfalls überzeugt davon, dass Europa es immer noch nicht verkraftet hat, dass die Türken einst vor Wien standen. Und er ist sicher, für die meisten Türken zu sprechen, wenn er sagt: "Wir haben von Europa die Nase voll." Wenn in der Türkei Menschenrechte verletzt würden, gebe es sofort einen Aufschrei, doch beim Krieg in Bosnien habe sich nichts geregt. "Wo war denn da Europa? Warum hat niemand eingegriffen? Da sind Kinder getötet worden und Frauen?" Ja, wo war Europa?

Und dann sagt er noch Sätze, die lange in mir nachklingen. Er sei nicht wütend, nicht zornig, aber Europa habe die Türken mit dem ständigen Hin und Her um den EU-Eintritt in ihrem Stolz verletzt. "Verletzter Stolz", denke ich auf dem Rückweg zum Auto, "hat schon so manchen Krieg entfacht". Und ich hoffe, dass hier nicht eine neue Krise schwelt.

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