Dienstag, 27. April 2010

Eine Reise ins 13. Jahrhundert, zweite Folge

Die Geschichte der Köchin Mathilde und des Minnesängers musste auf ihre Umsetzung warten, weil andere Bücher (zwei historische Romane, zwei Krimis und ein Mystery-Roman) sich in den Vordergrund geschoben haben. Doch jetzt schreibe ich daran. Die „anschaulichen“ Grundlagen gelegt habe ich – übrigens vor fast genau sechs Jahren – bei einer anderen Reise, deren Bilder jetzt wieder lebendig werden: Zusammen mit meinem Mann bin ich im Auto tausende von Kilometern über den Balkan und Istanbul nach Kleinasien und wieder zurück gefahren, verbunden mit einem für diesen historischen Roman entscheidenden Abstecher. Er führte mich von Istanbul aus mit dem Flugzeug nach Tel Aviv und von dort aus weiter nach Akkon, auch Akers, Acre, Accho, Acco, Hacco und St. Jean d'Acre genannt. Ich habe damals ein Reisetagebuch geführt, aufgeschrieben, was mich berührt hat. Vielleicht haben Sie ja Lust, mich zu begleiten. Leider gibt es nicht mehr zu allen Folgen Fotografien. Sie sind irgendwo in den Tiefen meines PCs verschwunden. Das gilt auch für diesen Reiseabschnitt.


Mathildes Geschichte: an der karstigen Küste, geschrieben am 28. April 2004


„Dvala“, sagt die Bedienung und strahlt mich vielsagend an, als ich die leere Cola-Flasche zurückbringe und auf den Tresen stelle. Obwohl sie mir gesagt hatte, dass das eigentlich nicht notwendig ist. Ich stelle fest, dass ihre Haare dunkel und lockig sind, ihr Lächeln ist etwas Besonders. Die Cola hat neun Kuna gekostet, etwa 1.20 Euro, rechne ich nach. „Dvala“ hat sie gesagt, weil ich wissen wollte, was Danke auf Koratisch heißt. Während ich zum dritten Mal nach draußen gehe und mir die Sonne auf den Rücken scheint, schaue ich über den staubigen, teilweise asphaltierten Platz vor der kleinen Truckerbude und überlege mir, wie "Dvala" wohl geschrieben wird.

Die beiden Männer draußen schippen immer noch Zement in eine Schubkarre. Meistens schippt der größere, der Jüngere, der Ältere karrt die Fuhre dann irgendwo hinters Haus. Dort wird wohl gebaut. Es wird überall gebaut an dieser Küste. Häuser, meist aus rogten Ziegeln, in jedem denkbaren Zustand säumen die Küstenstraße. Bei den meisten geht es um einen Neubeginn, es ist schon das Dach drauf. Manche kleben fast direkt in Höhe des Meeresspiegels an den Felsen.

Das Gestein der Berge und Hügel sieht uralt, grau und kantig aus, als wolle es im nächsten Moment zerbröseln. Unzählige, zumeist kleinere Nadelgehölze krallen sich daran fest. Zwischen zwei Neubauten habe ich in einer der vielen engen Serpentinen der Küstenstraße wieder einmal zerfallende Häuser gesehen. Später an diesem Tag erfahre ich, dass diese möglicherweise Serben gehören. Jenen Serben, die nach dem Krieg nicht mehr zurückgekehrt sind.

Ich denke über diesen Krieg nach, der zumindest für Kroatien vorbei zu sein scheint, und erinnere mich erneut an Slavko und Maria, die uns vor rund 14 Jahren in ihrem Haus in Zadar so gastfreundlich aufgenommen haben. Zum tausendsten Mal grüble ich darüber nach, was wohl aus ihnen geworden sein mag. Später, in einem kleinen Kaffee am Hafen einer winzigen Küstenstadt ertappe mich dabei, wie ich einen etwa 50-jährigen Mann anstarrte, der auf dem Parkplatz wartet. Er spricht Touristen an und fragt sie, ob sie eine Unterkunft brauchen. Maria hatte damals, vor nun 14 Jahren, als Jugoslawien noch existierte, am Straßenrand gestanden. Eine kleine, ältere, schüchtern wirkende Frau mit einem großen Schild in beiden Händen, auf dem stand: „Zimmer frei“. Ich frage mich, ob dieser Mann auch in diesem Krieg gekämpft, ob er ebenfalls Menschen getötet hat.

Die Antwort bekomme ich am Abend im Hotel. Doch das ist Stunden später. Es liegt etwa zehn Kilometer nach Zadar in Richtung Split. „Hier waren alle im Krieg“, erklärt der junge Kellner aufgeschlossen auf unsere Fragen. „Egal, ob Männer Frauen, Kinder oder Greise. Alle.“

An diesem Nachmittag fotografiere ich die wunderschöne Bucht mit dem kleinen Fischerdorf, die tief unter dem Parkplatz bei der Truckerbude liegt. Und den scheußlichen Hafen, der gleich daneben gebaut worden ist. Vielleicht entsteht hier wieder eine Raffinerie. Es gibt viele in der Gegend von Rijeka. Es ist schon 16.30 Uhr, und wir sind an diesem Tag noch nicht sehr weit gekommen.

Die Suche nach einem günstigen Platz für unser Satellitenmodem hat uns aufgehalten. Der scheint in dieser Region nämlich nicht zu existieren. Etwas ist immer zwischen dem Modem und dem Satelliten. Mal ein Doch schließlich gelingt die Übertragung, wir haben endlich den ersten Reisetext auf der extra eingerichteten Seite im Internet und freuen uns, dass auch schon die ersten Grüße unserer Freunde angekommen sind (Anmerkung: Damals gab es noch kein UMTS, wir waren deshalb mit einem Satellitenmodem unterwegs, was übrigens ein horrendes Geld gekostet hat. Aber wir wollten einfach ausprobieren, ob es uns möglich ist, aktuell zu berichten. Blogs sind auch erst später aufgekommen. Die Seite mit den Reisebeschreibungen, für die auch mein Mann geschrieben hat, ist inzwischen längst vom Netz und existiert nicht mehr. Ja, so ändern sich die Zeiten).

Am nächsten Morgen frage ich den Kellner sicherheitshalber, wie man Dvala schreibt. Es ist ein anderer, aber ebenso nett und aufgeschlossen wie jener vom Abend zuvor. Meine Frage scheint ihn zu verwirren. „Dvala, das heißt doch Danke“, behaupte ich. Er stutzt und lacht. „Ah!“ Dann nimmt er einen Zettel und schreibt in Großbuchstaben „HVALA“. Das spricht man wie Chvala. Ich habe wieder etwas dazugelernt.

Auf den Zweigen der Tamarisken glitzern noch die Tautropfen. In den Gärten wachsen schon die Tomatenpflanzen, die Erbsen die Bohnen und Mangold; die Geranien blühen. Das Meer liegt klar und fast unbewegt da. Über dem kleinen Hafen lichtet sich der Morgendunst. Noch sind nicht viele Yachten und Segelschiffe dort. Die Szenerie wirkt verschlafen. Es wird wieder ein schöner Tag, denke ich und gehe erst einmal frühstücken. Beim Kaffe erzählt Klaus, dass er bevor ich aufgestanden bin schon in Zadar war und in der Nähe des Flughafens. Dort oben, hoch über der Küstenstraße. Wo der Krieg getobt hat.

Wir besuchen den Friedhof. Im Tal schlafen Marjian, Neven und die anderen unter schwarzem Marmor und Plastikblumen. Die Eltern haben Neven außerdem eine Marienstatute auf sein Grab in Sukosan gestellt. Er war 17 Jahre alt als er 1993 starb.

Wir fahren weiter. Richtung Dubrovnik.

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