Mittwoch, 26. November 2008

Havemann und die Quellen des Nil

Anmerkung zu Beginn: Diese Buchbesprechung habe ich nur wenige Tage nach Erscheinen von "Havemann" geschrieben, also ehe das Buch wieder vom Markt genommen und Passage um Passage geschwärzt worden ist. Petra Gabriel

Es ist schwer, im Dschungel der Lebensbeichten und Geschichten, die inzwischen auf den Buchmarkt kommen, die Übersicht zu behalten. Es ist völlig unmöglich, alle die psychologisierenden Narzissmen von Promis und anderen Menschen zu lesen, die dem werten Leser so vorgesetzt werden. Die meisten sind sowieso uninteressant (nein, ich nenne jetzt keine Namen). „Havemann“ von Florian Havemann, erschienen im Suhrkamp Verlag, ist ebenfalls eine Aufarbeitung von Leben. Doch es wäre leichtfertig, diese über 1000 Seiten dicke Schwarte über denn DDR-Regimekritiker Robert Havemann – den Vater also und außerdem dessen Vater – als einen dieser ziemlich überflüssigen Eigentherapie-Versuche eines zutiefst verletzten Menschen abzutun. Ein Urteil? Gut oder schlecht? Geht nicht. Im Buch gibt es Urteile genug, viele davon sind am Ende dann doch keine. Also lassen wir das mit den Schwarz-Weiß-Schubladen, mit dem Gut, Schlecht.

„Havemann“ ist verstörend. Das ganz sicher. Das Buch zieht Vorhänge zu Seelenleben und Schlafzimmern von prominenten und weniger prominenten Menschen auf und wird deshalb natürlich immer wieder gerne zitiert. Nina Hagen, Biermann, Thomas Brasch, ja klar, kennen wir. Und manchmal möchte man das alles gar nicht wissen, davonlaufen, vielleicht auch nicht an eigene Verletzungen und Verlustängste erinnert werden. Denn die trifft Havemann, der Jüngere in dieser Kette der Havemänner (inzwischen auch schon 55 und dreifacher Vater), stellvertretend gleich mit. Vielleicht sind manche der bisherigen Kritiken zu diesem Buch deshalb so boshaft.

Aber Havemann ist eben nun mal Havemann und wird wohl damit weitermachen, den Dingen, den Menschen, den Ereignissen um Havemann – den Großvater, den Vater, den Sohn – auf den Grund zu gehen. Da steht er nun, und kann nicht anders. Und wenn es niemanden gäbe, der über dieses Buch beleidigt ist, dann wäre das schon erstaunlich. Ehrlich gesagt: Es ist keine sehr sympathische Familie, die Florian Havemann da schildert. Drei kratzige, widerborstige Männer, die sich jeder Kategorisierung verweigern, mit Ösen und Haken, mit Oberflächlichkeiten und Unterströmungen, die sie auch noch ganz bewusst pflegen – politisch wie zwischenmenschlich. Zwei davon sind trotz ihrer Intelligenz und ihres politischen Kampfes für ein gerechteres Miteinander dazu noch ziemlich unerträgliche und egozentrische Machos, die sich wundern, dass die Frauen, die sie geheiratet haben, schließlich verbiestern. Um ihnen dann den Rücken kehren (sorry, die Schreiberin ist nun mal eine Frau).

Soweit ist das noch nichts Besonderes. Männer, die sich der Rettung des Großen verschrieben haben, führen selten ein glückliches Familienleben. Oder können Sie spontan jemanden nennen, der es schafft, allen Fronten des Lebens gleichermaßen gerecht zu werden? Das scheint sich irgendwie auszuschließen, wie schon Philipp Roth in „Mein Mann der Kommunist“ einleuchtend schildert. Abgesehen davon hat Havemann der Jüngere ein Recht auf seine ganz persönliche Sicht.

Doch es geht mit Robert Havemann schließlich um „unsere“ Ikone des Widerstands, werden Sie sagen! Eine, die dann halt doch keine war. Und da stimmt es schon, was dessen Sohn Florian immer wieder schreibt, fast gebetsmühlenartig wiederholt: Das macht Robert Havemann erst wirklich interessant. Denkmäler sind langweilig. Man sollte viele dieser Figuren ohnehin vom Sockel holen, ihre Namen von den Straßennamenschildern löschen. Weil sie nur aus einem Grund berühmt geworden sind: Sie haben Kriege geführt, gesiegt und dabei sind jede Menge Menschen gestorben. Alexander der Große, Cäsar, Karl der Große, Friedrich der Große. Bereits in der Schule werden sie uns als außergewöhnlich serviert. Da sind mir solche Anti-Helden schon lieber.

Dass es bei Havemann um ein wichtiges Stück deutscher, dann deutsch-deutscher und schließlich wieder deutscher Geschichte geht, na klar. Vieles in „Havemann“ ist nicht neu. Bei den Protagonisten, die da mitspielen, um sich selbst, um die Politik und um andere kreisen, was sollte es auch sonst sein! Doch am eindringlichsten ist dieses Havemann-Buch in der zweiten Hälfte, etwa ab dem Kapitel „Keulenwaden“, Seite 522. Dann, wenn Florian Havemann ganz selbstvergessen bei sich ist, sich nicht an seinem Vater misst, an ihm reibt, mit ihm rechtet, das Havemann-Universum verlässt und seine eigenen Umlaufbahnen um Gerechtigkeit, Freundschaft und Liebe beschreibt. Dann wird dieses so verstörende Buch mit seinen unzähligen Wiederholungen („Ich nicht!“) plötzlich warmherzig. Es zeigt einen Mann, der nicht fertig ist, vielleicht nie fertig werden wird und dies auch weiß. Einen, der nun mal die Havemann-Gene in sich und weiterträgt, auch ein wenig mit Stolz.

Einen, der halt ist, wie er ist, der sich als Aristokrat beschreibt und als Prolet, als Künstler und als Dilettant. Und als Verfassungsrichter, nicht zu vergessen. Verletzt, einsam, suchend, kämpfend, kritisierend, zerrissen, zweifelnd, verachtend, selbstgerecht, liebend, aufbegehrend, beleidigt, schmunzelnd, lakonisch, ungerecht, manchmal sogar unbefangen und naiv, der kleine Junge im Mann, der immer wieder zur Suche nach den Quellen des Nils aufbricht. Ganz und gar nicht perfekt. Nein, perfekt sind Sie nicht, Herr Havemann, ebensowenig wie Ihr Großvater, Ihr Vater und Ihr Buch. Und damit wie wir alle. Ob Sie wollen oder nicht. Menschlich eben. Glücklicherweise.

Ach, noch eine Frage: Ist es Absicht oder mögen Sie den Genitiv nicht? Ist doch auch ein schöner deutscher Fall.

Keine Kommentare:

Impressum

Herausgeber und inhaltlich Verantwortliche
gemäß § 6 MDStV: Petra Gabriel, Gabriel-Publishing

Lehrter Straße 18-19
10559 Berlin

Im Leimenacker 12
75725 Laufenburg

web: www.petra-gabriel.de
mail: info(at)petra-gabriel.de