Sonntag, 23. November 2008

Interview zur Konkubine



Ich werde immer wieder gefragt, wie ein historischer Roman zustande kommt. Deswegen an dieser Stelle ein Interview zu "Die Konkubine", das Roswitha Frey von der Badischen Zeitung geführt hat. Darin erzähle ich die Geschichte meines Großvaters (im Bild ganz links hinter seiner Kanone in Tientsin), der kurz nach dem Boxeraufstand als Soldat in China stationiert war. Das Interview stammt aus der Zeit vor der Olympiade

Und falls jemand danach noch mehr wissen will: hier geht es zur Leseprobe

BZ: Wenn am 8. August die Olympischen Spiele beginnen, blickt die Welt verstärkt nach China. Wie hast du bei den Recherchen zu deinem Roman das Land erlebt?

Gabriel: Eine Bekannte, die in China lebt, hat mir sofort nach der Ankunft einen Schnellkurs über das richtige Verhalten verpasst. Außerdem hatte ich mich ideengeschichtlich vorbereitet. Doch die Wirklichkeit ist eben anders als die Theorie. Also habe ich mir gedacht: Lass dich einfach auf dieses Land und seine Menschen ein, höre zu, beobachte und fälle keine Urteile anhand deines eigenen kulturellen Hintergrundes, sondern versuche zunächst, den der anderen besser zu verstehen. Unser westliches Weltbild ist schließlich keineswegs das einzig mögliche. Von diesem Tag an ging es mir gut. Und ich habe freundliche, hilfsbereite Menschen erlebt, offen und herzlich. Menschen, die neugierig sind, die gerne lachen. Aber auch Menschen, die Traumata mit sich herumschleppen. Das gilt gerade für die Älteren, die die Kulturrevolution miterlebt haben. Sie sprechen kaum über diese Zeit. Und ich habe junge Menschen getroffen, die von der Geschichte ihres Landes nur wenig Ahnung hatten, für die alles vor Mao ein großes dunkles Loch zu sein schien.

BZ: Du hast sogar Chinesisch gelernt, hat dir das weitere Türen geöffnet?

Gabriel: Ja, ich konnte nach einer Weile mit Hilfe von Händen und Füßen einigermaßen kommunizieren. In China, zumindest in Qingdao habe ich das so erlebt, sprechen nur wenige Menschen Englisch, deshalb war das eine große Hilfe. Mein Bruchstück-Chinesisch hat meine chinesischen Gesprächspartner außerdem mehr als einmal zum Lachen gebracht - und gemeinsames Lachen kann manchmal selbst fest verrammelte Türen öffnen.

BZ: Die ehemalige deutsche Kolonie Tsingtau, der Schauplatz deines Romans, ist einer der Austragungsorte der Sommerspiele. Wie war dein Eindruck dieser Stadt?

Gabriel: Das heutige Qingdao ist eine wunderschöne Stadt am Gelben Meer, mit 3,5 Millionen Einwohnern für chinesische Verhältnisse fast schon Provinz. Die Uhren gehen dort gemächlicher als in Shanghai, wo ich auch war. Natürlich wird in Qingdao ein Hochhaus am anderen hochgezogen, und im Osten haben sie einen Riesenhafen für die Olympiade ins Meer gehämmert. Doch es ist dort auch viel aus der Kolonialzeit erhalten, zum Beispiel die Kanalisation oder Teile der deutschen Militäranlagen. Die Festung im Berg wird zur Hälfte noch vom chinesischen Militär genutzt, zum Teil kann man sie besichtigen. Qingdao bietet eine für China ungewöhnliche und spannende Mischung: Da ist die moderne, boomende Stadt - und wenn du in die alten chinesischen Viertel kommst, die es auch noch gibt, bietet sich wieder ein anderes Bild. Überall findet man bunte Märkte mit quirligem Leben, auf denen die Bürste neben den Fischen und das Gemüse neben den Schraubenziehern angeboten wird. Einiges ist schon gewöhnungsbedürftig für Europäer, etwa, dass man immer Toilettenpapier dabei haben muss. In öffentlichen Toiletten oder chinesischen Restaurants gibt es nämlich keines, viele öffentliche Toiletten haben auch keine Türen oder Toilettenschüsseln, sondern entsprechen eher dem, was man bei uns Abtritt nennt. Die westlich orientierten Hotels sind es deshalb schon gewöhnt, das „Langnasen“ mit verkniffenem Gesichtsausdruck an der Rezeption vorbei und auf ihre Toiletten stürmen.

BZ: Bist du noch auf Spuren aus der Zeit der deutschen „Musterkolonie“ Tsingtau gestoßen, wo vor über 100 Jahren kurz nach dem Boxeraufstand dein Großvater stationiert war?

Gabriel: Ja, auf viele. Ich habe zum Beispiel in einem Gästehaus auf dem Gelände der Ocean University gewohnt. Der Campus liegt auf dem Areal der alten Bismarck-Kasernen, in denen mein Großvater als Soldat gelebt hat. Ich bin durch die Gänge gelaufen, habe die Kästen gesehen, in denen die Waffen aufbewahrt worden sind. Es sah alles fast so wie früher aus. Außerdem sind noch alte Häuser erhalten geblieben. Die ehemalige Gouverneursvilla wird inzwischen als Gästehaus der Regierung genutzt. Auch die Parks und viele der breiten Baumalleen, die die Deutschen angelegt haben, gibt es noch. Deutsche Spuren finden sich zudem in der Küche der Provinz Shandong. Bei meinem Aufenthalt in Qingdao hat mich einiges an deutsche Essgewohnheiten erinnert. Und dann ist da natürlich das Bier, das immer noch nach deutschen Rezept gebraut wird und längst zum Exportschlager geworden ist.

BZ: Dein Roman spielt in der Zeit kurz nach dem Boxeraufstand, als die Deutschen im Osten Chinas eine Musterkolonie aufbauten. Ist den Einheimischen in Tsingtau dieses Kapitel ihrer Geschichte noch bewusst?

Gabriel: Ganz wenigen nur. Einen Taxifahrer habe ich getroffen, der wusste das noch. Für das Land ist das schon eine traumatische Zeit gewesen. Ob England, Amerika, Russland, Japan, die Deutschen (und noch viele andere), alle wollten sich ihre Scheibe China abschneiden. Die damalige Regierung konnte nichts dagegen tun. Ich glaube, daraus ist ein Trauma entstanden, das sich bis heute auf die Beziehungen Chinas zum Rest der Welt auswirkt. China will nie wieder so schwach sein.

BZ: Hast du das Gefühl, dass sich in der Aufarbeitung dieser Zeit etwas tut?

Gabriel: Es ist schon mein Eindruck, dass die Forschung zu diesem Thema langsam Fahrt aufnimmt. Die Deutschen haben jedoch die meisten ihrer Dokumente aus dem Land geschafft, es ist nicht viel in China geblieben. Das macht den chinesischen Historikern die Arbeit nicht gerade einfach.

BZ: Du hattest die Möglichkeit, auch mit Familien Kontakt aufzunehmen. Hat dir das Einblicke in private Welten verschafft, die Fremden sonst verborgen bleiben?

Gabriel: Einer meiner „Reiseführer“ war der über 80-jährige chinesische Arzt Zhou Huimin, ein richtiger Gentleman und noch topfit. Er hat mich in Familien mitgenommen, in Altenheime, in Kindergärten und hat mir seine Welt erklärt.

BZ: Bist du als deutsche Schriftstellerin auf Spurensuche in der chinesischen Vergangenheit offen aufgenommen worden oder gab es da auch Abblocken und Abweisung?

Gabriel: Überhaupt nicht, aber dafür viele und sehr unterschiedliche Begegnungen. Dazu eine kleine Anekdote. Drei Tage vor meinem Rückflug wurde ich von einem Übersetzer angerufen. Das Fernsehen habe mitbekommen, dass eine blonde deutsche Schriftstellerin im Ort sei, und sie bräuchten jemanden für eine Fernsehshow. Dann kam ein Regisseur, castete mich und wollte mir eine Rolle geben in der Soap „Die Seele Chinas“. Doch ich konnte das Angebot leider nicht annehmen, weil mein Visum auslief. So bin ich eben doch nicht im chinesischen Fernsehen gelandet.

BZ: Konntest du bei deinen Recherchen auch unbequeme Fragen stellen oder geschichtliche Quellen sichten?

Gabriel: Das konnte ich auch. Ich habe ganz, ganz viel Unterstützung bekommen und Hilfe erfahren, in Gesprächen, aber auch in Form von Aufsätzen chinesischer Wissenschaftler und Historiker, die ich dann später übersetzen ließ. Denn es ging mir ja auch darum, die damalige Zeit in China und das Leben der chinesischen Menschen vor 100 Jahren möglichst authentisch darzustellen.

BZ: Sind deine Erfahrungen beim Aufenthalt in Qingdao in den Roman eingeflossen?

Gabriel: Es sind viele Erfahrungen eingeflossen, der Reiseführer in der Rahmenhandlung ist allerdings in Wirklichkeit eine Frau. Außerdem gibt es einen alten Herrn, der viele Züge von Zhou Huimin trägt.

BZ: Hast du auch noch so extrem konservativ erzogene Frauen getroffen, wie sie Vorlage waren für deine Romanfigur Mulan?

Gabriel: Nein.Das Binden von Füßen ist ja schon lange verboten. Und es hat sich durch die Kulturrevolution auch viel verändert. Das hat es auch so schwierig gemacht, herauszufinden: Wie sind die Frauen damals mit den Ehegatten umgegangen, wie haben sie diese angesprochen? Diese zwischenmenschlichen Beziehungsebenen sind ja sehr stark ritualisiert, wie das chinesische Leben überhaupt. Glücklicherweise habe ich eine Frau gefunden, die mit seinem traditionell denkenden Chinesen verheiratet ist und die mir einiges dazu erzählen konnte. Doch das China von vor 100 Jahren existiert nicht mehr. Höchstens als ein leises Echo.


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